1
Man wird nicht durch die Lebensumstände geprägt. Denn sonst hätte ich mit zwölf zum ersten Mal gestohlen, mit fünfzehn den ersten Raubüberfall begangen und wäre mit siebzehn zum Mörder geworden.
– aus den privaten Fallaufzeichnungen
von Detective Max Shannon
Sophia Russo saß gerade einem Psychopathen gegenüber, als ihr drei unerbittliche Tatsachen bewusst wurden:
Erstens: Aller Wahrscheinlichkeit nach würde in spätestens einem Jahr ihre umfassende Rehabilitation angeordnet werden. Im Gegensatz zu einer normalen Rehabilitation würde dieser Vorgang nicht nur ihre Persönlichkeit auslöschen und sie als hirnloses Gemüse dahinvegetieren lassen. Umfassend bedeutete, dass neunundneunzig Prozent ihrer Sinne ausgeschaltet würden. Nur zu ihrem eigenen Besten, versteht sich.
Zweitens: Nicht ein einziges Wesen würde sich auch nur an ihren Namen erinnern, nachdem sie aus dem aktiven Dienst ausgeschieden war.
Drittens: Wenn sie nicht sehr aufpasste, würde sie bald so leer und unmenschlich sein wie der Mann, der ihr gegenübersaß… denn das Andere in ihr hätte am liebsten sein Hirn zerquetscht, bis er wimmernd und blutend um Gnade gebettelt hätte.
Das Böse ist schwer zu definieren, aber es sitzt in diesem Raum.
Die Erinnerung an die Worte von Detective Max Shannon rissen sie vor dem verführerischen Abgrund zurück. Aus irgendeinem Grund war die Vorstellung, er könnte sie als böse bezeichnen… keine Option. Er hatte sie anders als andere Männer angesehen, hatte die Narben bemerkt, sie aber offensichtlich als selbstverständlich zu ihrem Körper gehörig betrachtet. Dieses außergewöhnliche Verhalten hatte sie dazu veranlasst, ihm in die Augen zu sehen, um herauszufinden, was er dachte.
Das hatte sich als unmöglich erwiesen. Aber sie wusste, was Max von ihr wollte.
Nur Bonner selbst weiß, wo er die Leichen vergraben hat–wir müssen es aus ihm herausbekommen.
Sophia schloss die Tür zu ihren dunklen Gedanken, öffnete ihr geistiges Auge und erforschte mit ihren telepathischen Sinnen die verschlungenen Wege im Kopf von Gerard Bonner. Im Lauf ihres Berufslebens war sie vielen verrückten Gehirnen begegnet, aber dieses hier war einzigartig. Die meisten, die solche Verbrechen begingen, waren auf irgendeine Art geistig krank. Doch Sophia war geübt darin, mit zusammenhanglosen Erinnerungsfetzen umzugehen.
Bonners Gehirn hingegen war aufgeräumt, jede Erinnerung fein säuberlich abgelegt. Dennoch ergab alles keinen Sinn, da kalte, psychopathische Vorstellungen und Wünsche die Gedanken ordneten. Bonner sah die Welt, wie er es wollte, und so verzerrt, dass es nicht mehr möglich war, hinter dem Netz von Lügen die Wahrheit zu erkennen.
Sophia beendete ihren Rundgang und zentrierte