: Heike Abidi
: Wahrheit wird völlig überbewertet Roman
: Verlagsgruppe Droemer Knaur
: 9783426415214
: 1
: CHF 7.00
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: German
: 368
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Friederike Engelbrecht, beinahe 40, ist Single ohne Katze, dafür mit mehr als nur ein paar Pfunden zuviel. Letztere sind schuld an allem! Denn bei einem wichtigen Meeting fragt ein Geschäftspartner mit Blick auf ihre üppige Körpermitte: »Wann ist es denn so weit?«, und Friederike antwortet geistesabwesend: »Im Sommer.« Sofort wird sie umarmt, beglückwünscht - und alle starren auf ihre nicht vorhandene Taille, die jetzt keine Problemzone mehr ist, sondern heilige Brutstätte. Zunächst ist es ihr peinlich, dann ergibt sich nicht der geeignete Moment für die Wahrheit - und schon hat sich Friederike in ein Lügengeflecht verstrickt, aus dem sie einfach nicht mehr rauskommt ...

Heike Abidi, Jahrgang 1965, studierte Sprachwissenschaften und arbeitet heute als freiberufliche Werbetexterin und Autorin. Sie schreibt erfolgreich Jugendbücher und Romane für Erwachsene aus verschiedenen Genres. Sie lebt mit Mann, Sohn und Hund in der Nähe von Kaiserslautern.

Kapitel1


Kuh oder Zicklein

Tag326 vor meinem vierzigsten Geburtstag fängt schon gut an. »Du blöde Kuh!«, beschimpfe ich mein Gegenüber. Verstört schaut es mich aus dem schonungslosen Ganzkörperspiegel meines Schlafzimmers an. Sie müssen zugeben: ein Bild des Elends. Da stehe ich in Unterwäsche, die so verwaschen und unerotisch ist, dass ich nur hoffen kann, heute keinen Unfall zu erleiden und eventuell von Ersthelfern entkleidet zu werden. Oder wenn, dann wenigstens von unattraktiven Ersthelfern, um deren Desinteresse es nicht schade wäre.

Verzweifelt begutachte ich das Brandloch, das meinen bis eben noch hocheleganten Hosenanzug jetzt verunstaltet. Die Leute, die sich die Warnsprüche auf Zigarettenpackungen ausdenken, sollten lieber auf solche Gefahren hinweisen: »Rauchen kann Ihr Business-Outfit schon vor dem Meeting zerstören!« Das wäre mit Sicherheit viel abschreckender als dieser lästige Gesundheitskram.

»Verdammter Mist!«, fluche ich weiter. Was soll ich jetzt bitte schön anziehen? Vielleicht Jeans und Tunika, meine übliche Bürokluft? Unmöglich, heute ist »Welttag des feinen Zwirns«, wie Rolf gestern noch betont hat. Rolf Segmüller ist nicht nur Visionär, Choleriker, Spaßvogel und Nervensäge in einer Person, sondern vor allem mein Chef. In der Marketingabteilung der Feronia-Versicherung gilt, was Rolf anordnet. In Sachen Dresscode ist sein Standpunkt sehr pragmatisch.

»Tragt meinetwegen, worauf ihr Bock habt. Mir egal, ob ihr hier im Strandkleid auftaucht oder im Pyjama. Aber wenn Besuch kommt, wird was Anständiges angezogen. Damit das klar ist!«

Nun, heute ist so ein Tag. Denn auf der Agenda steht um10.30 Uhr ein Meeting mit den Leuten unserer Werbeagentur. Zwar tanzen die garantiert in Turnschuhen und zerrissenen Jeans an, aber Kreative haben eben Narrenfreiheit.

Ich dagegen habe ein Problem: Der einzige Hosenanzug, der mir wirklich steht, ist hinüber. Dahingerafft von einer harmlosen Morgenzigarette. Jetzt bleibt mir nichts anderes übrig, als mich in ein Modell zu zwängen, das vielleicht vor sieben Jahren modern war. Inzwischen haben wir uns weiterentwickelt, die Mode und ich. Sie zu ihrem Vorteil, ich weniger …

Wenigstens der Hosenknopf geht problemlos zu. Die Jacke sitzt dagegen recht stramm, aber wenn ich sie offen trage, fällt das vielleicht nicht allzu sehr auf. Ich frage mich, warum sich mein jüngeres Ich jemals für einen flaschengrünen Hosenanzug entschieden hat. Das einzige Shirt, das farblich dazu passt, ist das schwarze mit der – Achtung, Katalogdeutsch! – raffinierten und schmeichelnden Unterbrustraffung. Die leider die Aufmerksamkeit auf meinen Bauch lenkt. Seit wann gehört der eigentlich zu meinen Problemzonen? Bis vor kurzem kämpfte ich nur gegen die unerwünschten Energiespeicher an Gesäß und Oberschenkeln – doch neuerdings tun sich im Kampf gegen das Gewicht täglich weitere Nebenschauplätze auf.

Ich soll nicht so unzufrieden und überkritisch sein? Sie haben gut reden! Wahrscheinlich tragen Sie Größe S oder wenigstens M, nichtXL mit Tendenz zuXXL. Und mein aktuelles Gewicht könnte man nur dann als ideal bezeichnen, wenn ich etwa zwei Meter neunundachtzig groß wäre. Gro