: Leena Lehtolainen
: Der Löwe der Gerechtigkeit Ein Finnland-Krimi
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644309210
: Die Leibwächterin
: 1
: CHF 10.00
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 352
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die junge Leibwächterin Hilja hatte sich so sehr auf ein paar Tage mit ihrem Geliebten David, dem untergetauchten Europol-Agenten, gefreut. Doch der Besuch in seinem italienischen Unterschlupf verläuft anders als geplant: David ist spurlos verschwunden, in seiner Wohnung liegt ein erschossener Mafioso. Hat ihr Freund wirklich etwas mit dem Mord zu tun? Und wenn er in Schwierigkeiten steckte, wieso hat er sich ihr nicht anvertraut? Zurück in Finnland, stellt Hilja Nachforschungen an - offenbar führte David ein Doppelleben. Hilja kann niemandem trauen, nur der eigenwillige, zigarrenrauchende Kommissar Teppo Laitio steht ihr zur Seite. Die beiden geraten in einen Strudel aus Macht, Gewalt und Korruption, und Hiljas Liebe zu David wird auf eine harte Probe gestellt. Mit dem zweiten Teil der «Leibwächterin»-Trilogie spannt Leena Lehtolainen grandios den Bogen von organisiertem Verbrechen und globaler Verschwörung zur düsteren Vergangenheit ihrer Heldin.

Leena Lehtolainen, 1964 geboren, lebt und arbeitet als Literaturwissenschaftlerin, Kritikerin und Autorin in Degerby, westlich von Helsinki. Sie ist eine der auch international erfolgreichsten finnischen Schriftstellerinnen, ihre Ermittlerin Maria Kallio gilt nicht nur als eine Art Kultfigur der finnischen Krimiszene, sondern erfreut sich auch bei deutschen Leserinnen und Lesern seit dem Erscheinen des ersten Bandes der Reihe 1994 ungebrochener Beliebtheit.

2


Die massive Kommode war aus altem Holz, vielleicht aus Mahagoni. Die beiden unteren der vier Schubladen waren nicht verschlossen. Da ich sie ein paarmal mit frischer Wäsche aufgefüllt hatte, wusste ich, dass in der einen Socken, in der anderen Unterhosen lagen. Ich zog sie auf und stellte auf den ersten Blick fest, dass David höchstens einen Satz zum Wechseln mitgenommen hatte. Die Socken mit dem Luchsmuster, der Fanartikel einer Eishockeymannschaft, lagen an ihrem Platz. Ich hatte sie nicht wegen der Mannschaft gekauft, sondern wegen des Raubkatzenmotivs.

Für die altmodischen Schlösser an den beiden oberen Schubladen hätte man einen knapp zehn Zentimeter langen Schlüssel gebraucht. Ich versuchte sie mit den Fingern zu erkunden, doch nur ein Stück meines kleinen Fingers passte hinein. Also holte ich aus der Küche einen schmalen Löffel und steckte den Griff ins Schlüsselloch, wo ich ihn eine Weile lang hin und her drehte, bis ich zu der Überzeugung kam, dass das Schloss vermutlich nur zwei Einkerbungen hatte. Ein paarmal hatte ich mich schon flüchtig nach dem Schlüssel umgesehen, wenn David nicht in der Wohnung gewesen war. Nun war es Zeit für eine systematische Suche. Allerdings bestand die Möglichkeit, dass David ihn mitgenommen hatte. Natürlich würde ich die Schubladen notfalls auch ohne Schlüssel aufbekommen, immerhin waren Axt und Säge bereits erfunden. Nur um das schöne Holz tat es mir leid.

Ich untersuchte Davids Kleiderschränke, klopfte alle Taschen ab und schüttelte die Schuhe aus. In Davids Manteltasche fand ich eine unbenutzte Patrone von einem Jagdgewehr und eine Restaurantquittung. Eine Woche vor meiner Ankunft hatte David im Il tre cantoni in Paganico luxuriös gespeist: der Quittung zufolge ein Menü mit fünf Gängen. Er hatte Gesellschaft gehabt, denn auf der Rechnung standen jeweils zwei Portionen Antipasti, Primi und Secondi, zudem waren anderthalb Karaffen Wein und fünf Portionen Kaffee oder Likör getrunken worden. Bei den Antipasti musste es sich um eine besondere Delikatesse handeln, denn sie waren teurer als die Hauptgerichte. Obwohl David groß und kräftig war, hätte er kaum allein so viel in sich hineinstopfen können. Er hatte mir nichts von dem Abendessen erzählt und mich auch nicht in dieses Restaurant geführt. Vielleicht war sein Vermieter vorbeigekommen, um den Zustand der Wohnung zu begutachten, und David hatte ihn zum Essen eingeladen. Doch diese Erklärung schien mir nicht überzeugend.

In der Küche gab es wenig Geschirr, nur die Grundausstattung für vier Personen. Ich spähte in den Spargeltopf und in die Käsereibe. Kein Schlüssel. Ich selbst hatte den Schlüssel zu meinem Waffenschrank oft in einem Müslipaket oder zwischen den Slipeinlagen versteckt, wo ich sie in Sicherheit wähnte. In der Annahme, dass David nach einer ähnlichen Logik handelte, untersuchte ich die wenigen Lebensmittelpackungen in den Küchenschränken. Weder zwischen den Tagliatelle noch in der Espressopackung wurde ich fündig. Ich setzte mich an den Küchentisch und versuchte mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ich den Schlüssel nicht finden würde. Natürlich hatte David ihn mitgenommen.

David hatte immer schon genau darauf geachtet, dass die Gegenstände in seinem jeweiligen Quartier nicht zu viel über ihn verrieten. Kleider, Körperpflegeprodukte und Rasierer waren neben zwei Büchern die einzigen persönlichen Habseligkeiten, und sie hätten jedem x-Beliebigen gehören können. Gerade deshalb weckten die verschlossenen Schubladen meine Neugier, doch gleichzeitig hatte ich den Verdacht, dass ich darin nichts Besonderes finden würde. David konnte doch wohl nicht so dumm sein, etwas wirklich Wichtiges in Schubladen zu verstauen, die man mit ganz normalem Werkzeug zu öffnen vermochte? Ich ging wieder zu der Kommode und rückte sie von der Wand, drehte sie ein Stück, sodass ich auch die Rückseite sehen konnte. Dann zog ich die beiden unverschlossenen Schubladen ganz herau