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Stefan Zweig
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Maria Stuart Historischer Roman - Eine Darstellung historischer Tatsachen und eine spannende Erzählung über das Leben einer leidenschaftlichen, aber widersprüchlichen Frau
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e-artnow
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9788087664537
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4
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CHF 1.80
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470
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kein Kopierschutz
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ePUB
Mit 'Maria Stuart' ist es Stefan Zweig gelungen, eine Mischung aus objektiver Darstellung historischer Tatsachen und eine spannende Erzählung über das Leben einer leidenschaftlichen, aber widersprüchlichen Frau vorzulegen. Im Gegensatz zu seinen vielen Vorgängern fällt Stefan Zweig kein eindeutiges Urteil über diese kluge, anziehende und stolze Königin. Es bleibt dem Leser überlassen, ob er Maria Stuart als Heilige oder als Hexe sieht. Ist Maria Stuart wirklich die herrschsüchtige Frau, die an dem Mord ihres zweiten Gatten beteiligt war?
Aus dem Buch:
'... es gibt vielleicht keine Frau, die in so abweichender Form gezeichnet worden wäre, bald als Mörderin, bald als Märtyrerin, bald als törichte Intrigantin, bald als himmlische Heilige. Allein diese Verschiedenheit ihres Bildes ist merkwürdigerweise nicht verschuldet durch Mangel an überliefertem Material, sondern durch seine verwirrende Überfülle. In die Tausende und Abertausende gehen die aufbewahrten Dokumente, Protokolle, Akten, Briefe und Berichte: immer von andern und immer mit neuem Eifer ist seit drei Jahrhunderten von Jahr zu Jahr der Prozeß um ihre Schuld oder Unschuld erneuert worden. Aber je gründlicher man die Dokumente durchforscht, um so schmerzlicher wird man an ihnen der Fragwürdigkeit aller historischen Zeugenschaft (und damit Darstellung) gewahr. Denn wenn auch handschriftlich echt und alt und archivalisch beglaubigt, muß ein Dokument darum durchaus noch nicht verläßlich und menschlich wahr sein. ...'
Zweites Kapitel
Jugend in Frankreich
1548 – 1559
Der französische Hof ist wohlerfahren in vornehmen Sitten und untadelig in der geheimnisvollen Wissenschaft der Zeremonien. Ein Heinrich II., ein Valois, weiß, was der Braut eines Dauphins an Würde gebührt. Noch vor ihrer Ankunft unterzeichnet er einen Erlaß, daß»la reinette«, daß die kleine Königin von Schottland von allen Städten und Orten auf ihrem Weg mit gleichen Ehren begrüßt werden solle, als ob sie seine eigene Tochter wäre. So erwartet Maria Stuart schon in Nantes eine Fülle bezaubernder Aufmerksamkeiten. Nicht nur sind an allen Straßenecken Galerien mit klassischen Emblemen, Göttinnen, Nymphen und Sirenen errichtet, nicht nur wird die Laune der Begleitmannschaft durch ein paar Fässer köstlichen Weines aufgelockert, nicht nur werden Feuerwerke und Artilleriesalven zu ihren Ehren abgefeuert– auch eine liliputanische Armee, hundertfünfzig kleine Kinder, alle unter acht Jahren, marschieren in ihren weißen Kleidchen, zu einer Art Ehrenregiment zusammengefaßt, mit Pfeifen und Trommeln, mit Miniaturpiken und Hellebarden jubelnd der kleinen Königin voran. Und so geht es von Ort zu Ort: in einer ununterbrochenen Folge von Festen gelangt die Kind-Königin Maria Stuart endlich nach Saint-Germain. Dort erblickt das noch nicht sechsjährige Mädchen zum erstenmal seinen Bräutigam, einen viereinhalbjährigen, schwachen, fahlen und rachitischen Knaben, den das vergiftete Blut von vornherein zu Siechtum und frühem Tode bestimmt und der scheu und schüchtern seine»Braut« begrüßt. Um so herzlicher aber empfangen sie die andern Mitglieder der königlichen Familie, von ihrer kindlichen Anmut entzückt, und Heinrich II. nennt sie in einem Briefe begeistert»la plus parfayt entfant que je vys jamès«.
Der französische Hof stellt in jenen Jahren einen der glänzendsten und großartigsten der Welt dar. Eben ist das Mittelalter mit seiner Verdüsterung dahingegangen, aber noch liegt ein letztes romantisches Leuchten sterbenden Rittertums auf diesemÜbergangsgeschlecht. Noch wirken sich Kraft und Mut in der Freude an der Jagd, an Ringelstechen und Turnieren, an Abenteuer und Krieg in alter harter Art männlich aus, doch schon hat sich das Geistige Herrenrecht gewonnen im Kreise der Herrschenden und der Humanismus nach den Klöstern und Universitäten die Königsschlösser erobert. Von Italien her ist die Prunkliebe der Päpste, das geistig-sinnliche Genießertum der Renaissance, die Freude an den schönen Künsten siegreich nach Frankreich vorgedrungen, und so entsteht hier in dieser Weltminute eine fast einzigartige Bindung von Kraft und Schönheit, von Mut mit Sorglosigkeit: die hohe Kunst, den Tod nicht zu fürchten und dennoch das Leben sinnlich zu lieben. Natürlicher und freier als irgendwo gattet sich im französischen Wesen Temperament mit Leichtigkeit, die gallische»Chevalerie« wird wunderbar eins mit der klassischen Kultur der Renaissance. Zugleich wird von einem Edelmann gefordert, bei dem Turnier im Panzerrock den Gegner wuchtig mit der Lanze anzureiten und mit anmutvoller Wendung die künstlichsten Figuren des Tanzes vorbildlich auszuführen, er muß die rauhe Kriegswissenschaft ebenso meistern wie die zarten Gesetze der höfischen Courtoisie; dieselbe Hand, die den pfündigen Zweihänder im Nahkampf führt, muß verstehen, zärtlich die Laute zu schlagen und einer geliebten Frau Sonette zu schreiben: beides in einem zu sein, stark und zart, rauh und kultiviert, kampfgeübt und kunstgebildet, ist das Ideal der Zeit. Tagsüber setzen der König und seine Edelleute mit schäumenden Rüden stundenlang den Hirschen und Ebern nach, Speere werden gebrochen und Lanzen zerspellt, aber abends versammeln sich in den Sälen der großartig erneuerten Schlösser des Louvre oder von Saint-Germain, Blois und Amboise die Edelleute und Edeldamen zu geistiger Unterhaltung. Verse werden vorgelesen, Madrigale gesungen, Musik wird gemacht, in Maskenspielen der Geist der klassischen Literatur erweckt. Die Gegenwart der vielen schönen und geschmückten Frauen, das Werk von Dichtern und Malern wie Ronsard, Du Bellay und Clouet verleiht diesem fürstlichen Hofe eine einzige Farbigkeit und Freudigkeit, die sich in allen Formen der Kunst und des Lebens verschwenderisch ausdrückt. Wieüberall in Europa vor dem unglückseligen Glaubenskrieg steht Frankreich damals vor einem Aufschwung zu großer Kultur.
Wer an solchem Hofe leben, und vor allem, wer an solchem Hofe dereinst als Gebieter herrschen soll, muß sich diesen neuen kulturellen Forderungen anpassen. Er muß zur Vollendung streben in allen Künsten und Wissenschaften, er muß seinen Geist ebenso zu schmeidigen wissen wie seinen Körper. Ewig wird es eines der herrlichsten Ruhmesblätter des Humanismus bleiben, daß er gerade jenen, die im obern Kreise des Lebens wirken wollen, Vertrautheit mit allen Künsten zur Pflicht macht. Kaum je zu einer Zeit wurde so eindringlich nicht nur bei den Männern von Stande, sondern auch bei den Edelfrauen– eine neue Epoche hat damit begonnen– auf vollendete Erziehung geachtet. Wie Maria von England und Elisabeth muß Maria Stuart ebenso die klassischen Sprachen studieren, Griechisch und Latein, wie die zeitgenössischen, Italienisch, Englisch und Spanisch. Aber dank eines hellen und geschwinden Geistes und der von ihren Ahnen ererbten Kulturfreude wird dem begabten Kinde jede Mühe zum Spiel. Bereits mit dreizehn Jahren rezitiert sie, die aus den Colloquien des Erasmus ihr Latein gelernt hat, vor dem ganzen Hof im