: Stefan Zweig
: Joseph Fouché. Bildnis eines politischen Menschen Joseph Fouché war französischer Politiker während der Französischen Revolution und Polizeiminister in der Kaiserzeit und der Restauration
: e-artnow
: 9788087664520
: 4
: CHF 1.80
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: Biographien, Autobiographien
: German
: 280
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Joseph Fouché. Bildnis eines politischen Menschen' ist ein biographischer Roman von Stefan Zweig, erstmals erschienen im Jahre 1929. Wie in Zweigs Biographien 'Marie Antoinette' und 'Maria Stuart' wird hier auch die Geschichte einer allen anderen gegenüber moralisch überlegenen Person, die tragisch untergeht, beschrieben. Das Buch erzählt vom Aufstieg und Fall eines Mannes, der es immer wieder schafft ganz nach oben zu kommen. Dabei spielt es keine Rolle für welche Seite er tätig ist, egal ob im Dienste der Revolutionäre oder des französischen Königs. Von der Französischen Revolution, bis zum Untergang Napoleons, mehr als ein viertel Jahrhundert lang, schafft es Joseph Fouché sich in der Politik zu etablieren. Im Vordergrund stehen aber nicht die Errungenschaften und Taten Fouchés. Viel eher möchte Stefan Zweig den Charakter und menschliche Eigenschaften eines der mächtigsten Männer seiner Zeit, eines der merkwürdigsten Männer aller Zeit darstellen. Aus dem Buch: 'Es ist vor allem die Technik des Schweigenkönnens, die magistrale Kunst des Selbstverbergens. Daß dieser Mann ein Leben lang jeden Nerv seines Gesichts auch in der Leidenschaft beherrscht, daß man nie eine heftige Wallung des Zorns, der Erbitterung, der Erregungen seinem unbeweglichen, gleichsam in Schweigen vermauerten Gesicht entdecken kann, daß er mit gleicher tonloser Stimme das Umgänglichste wie das Furchtbarste gelassen ausspricht und mit dem gleichen lautlosen Schritt ebenso durch die Gemächer des Kaisers wie durch eine tobende Volksversammlung zu schreiten weiß'



Zweites Kapitel

Der»Mitrailleur de Lyon«




1793



Im Buche der Französischen Revolution wird gerade eins der blutigsten Blätter, der Aufstand von Lyon, selten aufgeschlagen. Und doch hat sich in kaum einer Stadt, selbst in Paris nicht, der soziale Gegensatz derart schattenscharf abgezeichnet wie in dieser ersten Industriestadt des damals noch kleinbürgerlichen und agrarischen Frankreich, dieser Heimat der Seidenfabrikation. Dort formen die Arbeiter inmitten der noch bürgerlichen Revolution von 1792 zum erstenmal schon deutlich eine proletarische Masse, schroff abgeschieden von der royalistisch und kapitalistisch gesinnten Unternehmerschaft. Kein Wunder, daß gerade auf diesem heißen Boden der Konflikt die allerblutigsten und fanatischsten Formen annehmen wird, die Reaktion sowohl wie die Revolution.

Die Anhänger der jakobinischen Partei, die Scharen der Arbeiter und Arbeitslosen, gruppieren sich um einen jener sonderbaren Menschen, wie sie jeder Weltwandel plötzlich nach oben schwenkt, einen jener durchaus reinen, idealistisch gläubigen Menschen, die aber immer mehr Unheil anrichten mit ihrem Glauben und mehr Blutvergießen mit ihrem Idealismus als die brutalsten Realpolitiker und wildesten Schreckensmänner. Immer wird es gerade der reingläubige, der religiöse, der ekstatische Mensch, der Weltveränderer und Weltverbesserer sein, der in edelster Absicht Anstoß gibt zu Mord und Unheil, das er selber verabscheut. Dieser in Lyon hieß Chalier, ein entlaufener Priester und ehemaliger Kaufmann, für den die Revolution noch einmal das Christentum wurde, das richtige und wahre, und der ihr anhängt mit einer selbstaufopfernden und abergläubischen Liebe. Die Erhebung der Menschheit zur Vernunft und zur Gleichheit bedeutet diesem passionierten Leser Jean Jacques Rousseaus schon Erfüllung des Tausendjährigen Reiches; seine glühende und fanatische Menschenliebe sieht gerade im Weltbrand die Morgenröte einer neuen, unvergänglichen Humanität. Rührender Phantast: als die Bastille fällt, trägt er in seinen bloßen Händen einen Stein der Zwingburg die sechs Tage und sechs Nächte Weg zu Fuß von Paris nach Lyon und baut ihn dort um zu einem Altar. Er verehrt Marat, diesen blutheißen, dampfenden Pamphletisten, wie einen Gott, wie eine neue Pythia; er lernt seine Reden und Schriften auswendig und entflammt mit seinen mystischen und kindischen Reden wie kein anderer in Lyon die Arbeiterschaft. Instinktiv spürt das Volk in seinem Wesen brennende, mitleidige Menschenliebe und ebenso die Reaktionäre in Lyon, daß gerade ein derart reiner, vom Geist getriebener, von Menschenliebe beinahe tollwütig besessener Mensch noch gefährlicher sei als die lärmendsten jakobinischen Unruhestifter. Gegen ihn drängt sich alle Liebe, gegen ihn ballt sich aller Haß. Und als ein erster Aufruhr sich in der Stadt bemerkbar macht, werfen sie als den Rädelsführer diesen neurasthenischen und ein wenig lächerlichen Phantasten in den Kerker. Mit Mühe klaubt man dann mittels eines gefälschten Briefes eine Anklage gegen ihn zusammen und verurteilt ihn zur Warnung für die anderen Radikalen und als Herausforderung gegen den Pariser Konvent zum Tode.

Vergebens sendet der entrüstete Konvent Boten auf Boten nach Lyon, um Chalier zu retten. Er mahnt, er fordert, er droht dem unbotmäßigen Magistrat. Aber nun erst recht entschlossen, den Pariser Terroristen endlich einmal die Zähne zu zeigen, weist der Gemeinderat von Lyon selbstherrlich jeden Einspruch zurück. Ungern haben sie sich seinerzeit die Guillotine, das Schreckensinstrument schicken lassen und unbenützt in einen Speicher gestellt: nun wollen sie den Anwälten des Schreckenssystems eine Lektion erteilen, indem sie das angeblich humane Werkzeug der Revolution erstmalig an einem Revolutionär erproben. Und gerade, weil die Maschine noch nicht erprobt ist, wird die Hinrichtung Chaliers durch die Ungeschicklichkeit des Henkers zu einer grausamen und niederträchtigen Folterung. Dreimal saust das stumpfe Beil nieder, ohne den Nackenwirbel des Verurteilten zu durchschlagen. Mit Grauen sieht das Volk den gefesselten blutüberströmten Leib seines Führers sich noch immer lebend unter dieser schandbaren Folter krümmen, bis schließlich der Henker mit einem mitleidigen Säbelhieb das Haupt des Unglücklichen vom Rumpfe trennt.

Aber dieses gefolterte Haupt, dreimal vom Beil zerschmettert, wird bald für die Revolution ein Palladium der Rache und ein Medusenhaupt für seine Mörder sein. Der Konvent schrickt auf bei der Nachricht dieses Verbrechens; wie, eine einzelne französische Stadt wagt offen der Nationalversammlung Trotz zu bieten? Eine solche freche Herausforderung muß sofort in Blut erstickt werden. Aber auch die Lyoner Regierung weiß, was sie nun zu erwarten hat. Offen geht sie von der Auflehnung gegen die Nationalversammlung zur Rebellionüber; sie hebt Truppen aus, setzt die Verteidigungswerke instand gegen Mitbürger, gegen Franzosen, und bietet offen der republikanischen Armee Trotz. Nun müssen die Waffen entscheiden zwischen Lyon und Paris, zwischen Reaktion und Revolution.

Logisch genommen, scheint ein Bürgerkrieg in diesem Augenblick Selbstmord für die junge Republik. Denn niemals war ihre Situation gefährlicher, verzweifelter, aussichtsloser. Die Engländer haben Toulon eingenommen, die Flotte und das Arsenal geraubt, sie bedrohen Dünkirchen, indes gleichzeitig die Preußen undÖsterreicher am Rhein und in den Ardennen vorstoßen und die ganze Vendée in Flammen steht. Kampf und Aufruhr durchschütteln die Republik von einer Grenze Frankreichs bis zur anderen. Aber diese Tage sind auch die