: Dolores Schmidinger
: Ich hab sie nicht gezählt Eine unartige Biografie
: Verlag Kremayr& Scheriau
: 9783218008594
: 1
: CHF 15.20
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Wenn die Dolly mit achtzig keine Liebhaber mehr hat, dann wird sie welche erfinden, damit es was zum Erzählen gibt', meinte einmal Kabarettistin Andrea Händler zu ihrer Freundin Dolores Schmidinger. Doch die Sorge ist verfrüht, es gibt einstweilen noch genug zu erzählen, Erotisches, Frivoles und Unartiges aus dem Leben der Dolly S. Etwa von der kleinen Doris, deren Vater sie allzu sehr geliebt hat, von den wilden 68ern, die der freien Liebe frönten, von vier Ehemännern, mit denen sie allerlei Überraschungen erlebte, und von erotischen Abenteuern und Ausflügen, die sie u.a. in die Lack-und-Leder-Szene führten. Natürlich, eine Statistik der Lover lässt sich nicht erstellen - Dolores zählte nicht mit, sondern lebte mehr nach dem Motto: 'Der Nächste, bitte!' Das tut aber dem vergnüglichen Einblick in ihr Liebesleben keinen Abbruch. Denn auch wenn nicht alles immer lustig war, hat sie nie darauf vergessen, sich selber nicht ganz ernst zu nehmen. Und schon gar nicht ihre Liebhaber. Deshalb: Lesevergnügen ist garantiert, denn Dolores Schmidinger versteht es meisterhaft, Pointen zu setzen, zu erstaunen, zu überraschen - und manchmal auch ein wenig zu schockieren.

Dolores Schmidinger, geboren 1946, Schauspielerin (u.a. Turrini, Schnitzler, Schwab - am Volkstheater, Theater in der Josefstadt, Thaliatheater Hamburg), Filmschauspielerin (u. a. in 'Lamorte', 'Kaisermühlen-Blues') und Kabarettistin. Zu ihren erfolgreichsten Programmen gehören 'Die nackte Matrone', 'Mit den Waffe(l)n einer Frau', 'Domina im Ausverkauf' und 'Unartig'. Seit 2005 auch Regisseurin, u.a. der Operetten 'Der Bettelstudent' und 'Der fidele Bauer' beim Lehár-Festival in Bad Ischl. Autorin des autobiografischen Ratgebers 'Bulimie: Raus damit!' (K& S).

1. Kapitel


Jetzt bin ich in der ersten Klasse. Es ist kalt und von der Decke hängt eine schwache Glühbirne ohne Schirm. Wir tauchen den Federhalter in die Tinte und schreiben kleine A’s und B’s und C’s in unser Heft. Volksschule. Unsere Klassenvorsteherin, die Schwester Carissima, fragt mich, was nach dem C kommt. Das weiß ich. „Das D“, antworte ich, und die Schwester Carissima sagt: „Du musst lauter sprechen, Dolores, sei doch nicht so schüchtern!“

Sie nennt mich Dolores, obwohl die Mutti ihr ausdrücklich ans Herz gelegt hat, dass man mich „Doris“ nennen soll. Eigentlich heiße ich Maria Dolores, aber die Mutti mag diesen Namen nicht. Der Vati wollte, dass ich so heiße. Er hat vor dem Krieg in Argentinien in einer Missionsstation gearbeitet und war von Heimweh geplagt. Darum hat er der heiligen Mutter Maria gelobt, wenn er einmal eine Tochter hat, soll sie ihren Namen tragen. „Maria Schmerzen“. Maria Dolores. Ja, eigentlich heiße ich „Mutter Schmerzen“. Der Vati ist furchtbar katholisch. Trotzdem glaubt die Mutti nicht an die Version vom Gelöbnis an die Mutter Gottes. Sie vermutet eher, dass er dort unten mit einer gewissen Dolores „ein Pantscherl“ gehabt hat. Drum nennt sie mich jetzt „Doris“.

Die Schwester Carissima ist sehr sanft, aber die Mitschülerinnen sind so fremd und ich fühle mich einsam in der Klasse. Ich habe auch ein bisschen Angst, denn in Religion lernen wir, dass alle Heiden in die Hölle kommen und die ungetauften Kinder in die Vorhölle.

Wir malen einen brennenden Heiden in unser Religionsheft. Der Heide hat schwarze Haut und ein Baströckchen, denn wir haben gelernt, dass die Heiden meistens Neger sind. Die ungetauften Kinder in der Vorhölle brauchen wir nicht zu malen, weil es dort stockdunkel ist, sagt die Schwester Carissima. Die ungetauften Kinder müssen nämlich nicht die ganze Zeit brennen, aber sie können den lieben Gott nicht sehen.

„Und warum können sie ihn nicht sehen, sie haben ja nichts getan?“

Die Schwester wird ungeduldig: „Weil sie die Gnade des Glaubens nicht haben!“

Die Mutti geht am nächsten Tag zur Schwester Carissima und beschwert sich: „Sowas darf man Kindern nicht beibringen, die ungetauften Kinder kommen ganz bestimmt nicht in die Vorhölle, das sind ja Ansichten wie im Mittelalter!“

Und sie erzählt immer wieder davon, dass sie aufgeklärte, moderne Ansichten hat, darauf ist sie nämlich sehr stolz.

Zu Mittag, wenn die Schule aus ist, kommt die Mutti mich abholen. Wir gehen durch den siebenten Bezirk mit seinen baumlosen Straßen nach Hause. Eine Viertelstunde brauchen wir von der Schule der „Schwestern zum Göttlichen Heiland“ in der Kenyongasse bis zu uns in die Kaiserstraße. Die Häuser sind hoch und schauen unfreundlich aus. Drinnen ist es dunkel. Wir wohnen im vierten Stock ohne Aufzug. Und der vierte Stock ist nicht wirklich der vierte Stock, da gibt es noch ein Zwischengeschoss, den Mezzanin. Die Mutti jammert immer wegen der Stiegen. Aber der Vati sagt, sie soll doch ein bisschen mehr Bewegung machen in der freien Natur. Die Mutti hat nichts übrig für die freie Natur, und wenn wir sonntags wandern gehen, sagt sie immer: „Das ist doch viel zu weit für die arme Doris, die hat ja schon Blasen an den Füßen!“

Obwohl ich gar keine Blasen habe. Schließlich geht der Vati alleine wandern.

Unsere Bedienerin heißt Frau Spagolla. Sie ist eine große Frau mit schwarzen Haaren und einer tiefen Stimme. Sie kommt dreimal die Woche bedienen, denn die Mutti putzt sehr ungern. Ich mag die Frau Spagolla, sonst hätte ich sie wohl nicht gefragt, ob sie mir den Popo verhauen will.

Da war ich gerade vier Jahre alt. Ich hab zu ihr gesagt: „Frau Spagolla, du musst mit mir ins Wohnzimmer gehen, die Rollos herunterziehen und mich übers Knie legen. Und dann musst du mir meinen nackerten Popo verhauen.“ Ich glaube, sie hat sich gewundert und war ganz verlegen, aber ich habe ihr