: Ulrich Ladurner
: Solferino Kleine Geschichte eines großen Schauplatzes
: Residenz Verlag
: 9783701742448
: 1
: CHF 8.70
:
: Geschichte
: German
: 144
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Geburtsstunde des Roten Kreuzes, der Beginn vom Niedergang der Habsburger, eindringlich und spannend erzählt. Unterwegs an historischem Schauplatz: Die Schlacht von Solferino am 24. Juni 1859 endete mit einer Niederlage der Österreicher unter Kaiser Franz Joseph. Die französischen Truppen Napoleons III., Verbündeter des Königreiches Piemont-Sardinien, machten den Weg frei für die nationale Einigung Italiens. Joseph Roth setzte im 'Radetzkymarsch' Solferino ein literarisches Denkmal und Henry Dunants Augenzeugenbericht von der grausamen Schlacht und dem Elend der Verwundeten führte zur Gründung des Internationalen Roten Kreuzes und zur Genfer Konvention. Als er die Tagebuchaufzeichnungen seines Urgroßvaters findet, eines Südtirolers, den das Los in die Schlacht schickte, macht sich Ulrich Ladurner auf den Weg in eine unbekannte Vergangenheit. In seiner politisch-historischen Reisereportage, die zu einer persönlichen Spurensuche wird, führt er uns an den Schauplatz in der Lombardei, südlich des Gardasees. Aus seinen Beobachtungen vor Ort, aus Gesprächen und Recherchen rekonstruiert er die Geschichte, wie sie gewesen sein könnte. 'Der Sprache, die er dafür gefunden hat, wohnt eine bestechende Schönheit inne', schrieb die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. 'Dem schmalen Buch, glänzend geschrieben und spannend zu lesen, möchte man ebenso viele Leser wünschen wie den Aufzeichnungen des Bürgers Dunant.'

Ulrich Ladurner Ulrich Ladurner, geboren 1962 in Meran/Südtirol, studierte Politikwissenschaft und Geschichte in Innsbruck. Seit 1999 berichtet er als Auslandsredakteur der Wochenzeitung DIE ZEIT aus Irak und Iran, Afghanistan und Pakistan. Er lebt in Hamburg.

Das Fenster


Es ist ein heißer Junitag, mittags. Die Bewohner Solferinos haben sich vor der Glut der Sonne in ihre Häuser geflüchtet. Die Straßen sind leer gefegt. Es ist still. Nur ab und an ist der Lärm eines Autos zu hören, das auf der Hauptstraße nach Castiglione delle Stiviere fährt. Ich gehe die Gasse zum Schloss empor, vorbei an den stummen Fassaden des Dorfes. Mein Hemd ist nass vom Schweiß. Obwohl ich einen Hut trage, dröhnt mein Kopf. Mein Atem geht schwer. Ich möchte gerne stehen bleiben, um mich auszuruhen, aber die Gasse ist heiß wie eine Backröhre. Nur so schnell wie möglich durch sie hindurch, hinauf auf den Schlossplatz, wo mich hoffentlich eine frische Brise erwartet, die vom Gardasee her über den Hügel von Solferino streicht. Dort werde ich meine Arme ausstrecken, mein Hemd wie ein Segel aufspannen und mich abkühlen lassen. Ich werde den Blick auf den blinkenden See, auf die mächtigen Berggipfel und die Hügel, die wellenartig Richtung Osten verlaufen, richten. Doch bis dahin sind es noch ein paar Hundert Meter. Um mich abzulenken, lausche ich auf Geräusche, auf Stimmen hinter den verschlossenen Türen und Fenstern. Doch höre ich nichts außer meinen Atem. Es muss an den dicken, uralten Mauern der Häuser liegen, die alles verschlucken. Denn bestimmt sitzen die Menschen an den Küchentischen, essen und schwatzen, oder sie schauen die Nachrichten an, die um diese Zeit im Fernsehen laufen, vielleicht hält auch jemand seinen Mittagschlaf und schnarcht. Wenn ich an einem angelehnten Fensterladen vorbeikomme, spähe ich hinein, doch ist nichts zu erkennen, nicht einmal Schatten sind zu sehen. Nur Hitze. Nur Stille.

Nach ungefähr einem Drittel des Weges sehe ich auf einer Hauswand, auf der Höhe des zweiten Stockes, eine seltsame Malerei. Sie zeigt, wie eine Frau einen Fensterladen öffnet. Die Proportionen des Bildes verraten, dass der Maler nicht zu den Erfahrenen seines Faches gehört, wahrscheinlich hat er sein Geld als Schildermaler verdient und sich nur ab und an der figürlichen Darstellung gewidmet. Doch liegt etwas Feierliches in der Art, wie die Fr