: Carolina Schutti
: einmal muss ich über weiches Gras gelaufen sein
: Otto Müller Verlag
: 9783701361939
: 1
: CHF 13.20
:
: Erzählende Literatur
: German
: 144
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein schattiges Dorf und eine Tante, die nicht über die Vergangenheit spricht: In diese Welt wird Maja von einem Tag auf den anderen geworfen. Mit dem frühen Tod der Mutter geht ihre Sprache verloren, sie versteht die Tante nicht, die von nun an für sie sorgt. In dem abgelegenen Haus gibt es nicht viel Abwechslung für das in sich gekehrte Mädchen. Einzig Marek, ein ehemaliger polnischer Zwangsarbeiter, vermag Maja für wenige Stunden einen Ausweg aus dem Schweigen aufzuzeigen und ihr ein Gefühl von Geborgenheit zu vermitteln. Als Heranwachsende versucht sie, an der Seite ihrer engsten Freundin ihrer inneren Heimatlosigkeit zu entkommen und verlässt schließlich mit deren Bruder endgültig das Dorf, um in einer entfernten Stadt ein neues Leben zu beginnen. Doch eines Tages beschließt sie, dem Schweigen den Rücken zu kehren und sich auf die Suche nach ihrer verlorenen Herkunft zu begeben.

Carolina Schutti wurde 1976 in Innsbruck geboren, wo sie Germanistik, Anglistik und Amerikanistik studierte und im Jahr 2004 über Elias Canetti promovierte. Nach einigen Jahren Unterrichtstätigkeit war sie Lektorin an der Università degli Studi di Firenze, anschließend wissenschaftliche Mitarbeiterin am Literaturhaus am Inn, seit 2009 ist sie Vorstandsmitglied des Brenner-Forum. Sie veröffentlichte Literaturabhandlungen, Kritiken und Kurzprosa in verschiedenen Literaturzeitschriften. 'Einmal muss ich über weiches Gras gelaufen sein' ist ihr zweiter Roman. Carolina Schutti lebt mit ihrer Familie in Innsbruck.

I.

Babuschka

Fang einfach an, sagte Maja,
so viele erste Sätze.

Es heißt nicht Babuschka, sondern Matrjoschka, sagte meine Großtante, die einzige Tante meines Vaters, dabei konnte sie gar kein Russisch. Sie hatte wohl recht, aber ich glaubte ihr nicht. Ich hatte meine Babuschka immer schon so genannt und sie vorsichtig geschüttelt und auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt und die kleinste genau untersucht, ob sie sich nicht auch öffnen ließe wie die anderen, durch einen geheimen Mechanismus, denn ich hatte nicht glauben können, irgendwann bei der letzten angekommen zu sein.

Nachts war ich oft wachgelegen und hatte meine Augen im Zimmer umherschweifen lassen, und ich hatte der großen Babuschka erzählt, wie das Haus von außen aussah und der Garten, das in die Breite gezogene Dorf, der Schatten, der sich mehr als das halbe Jahr auf den Großteil der Häuser legte. Vom Tal mit seinen waldigen Hängen erzählte ich, vom Nachthimmel, der sich fest darüber spannte. Es hatte mir Angst gemacht, dass mir niemand sagen konnte, was dahinter war. Aber vielleicht musste man nur die richtige Frage stellen, um eine Antwort zu erhalten. Die Babuschka schaute mich an mit ihren großen Augen und ich machte sie auf und nahm das kleinste Püppchen heraus, legte es zart in meine Hand, wiegte es hin und her, staunte, wie erwachsen es aussah.

Meine Babuschka war verloren gegangen, so machte man mich glauben, aber das war unmöglich. Ich hatte sie niemals mit nach draußen genommen. Vielleicht hatte meine Tante beschlossen, dass ich zu groß sei für Puppen und sie eines Tages auf dem Dachboden versteckt oder weggeworfen, vielleicht hatte sie das Gemurmel, das allabendlich aus meinem Zimmer drang, für beunruhigend gehalten. Ich habe nie gefragt.

Ich erzählte Marek von der Babuschka und er strich mir das Haar hinters Ohr und küsste mich auf die Stirn.

Moje kochanie, flüsterte er, und ich wusste, was das hieß, wenn ich auch kein Polnisch konnte und das Weißrussisch meiner ersten Jahre verloren gegangen war wie die Babuschka.

Marek hatte ein kleines Holzhaus mit einem verwilderten Garten. Er bot dem alten Walter Geld für die Gartenarbeit, aber mehr als ein paar Äste entfernte er nicht und Mähen