Montag, 27.9.
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Konrad Mertens, Hausmeister der Novalis-Schule in Bockenheim, war allergisch gegen Dreck. Wenn er nichts anderes zu tun hatte, was selten genug vorkam, fegte er den Schulhof, den Parkplatz, die Wege, leerte die Mülleimer und räumte unnützes Zeug beiseite. Außerdem war er für alle Fassaden- und Gartenarbeiten zuständig. Der gesamte Außenbereich, der nicht klein war, war sein Revier. Und das seit über dreißig Jahren. Lehrer und Lehrerinnen kamen und gingen, Direktoren wechselten und jedes Jahr ging ein ganzer Schülerjahrgang ab. Nur er blieb. Er war eine Institution. Und das befriedigte ihn.
„Picobello“, sagte er gern, und damit meinte er seine Schule, die in Bockenheim lag, einem der westlichen Stadtteile Frankfurts, dem Herz Hessens.
Die heutigen Schüler, empfand Mertens, waren auch nicht mehr das, was sie mal waren. Den meisten war alles egal. Sie warfen wahllos Müll auf den Boden und er musste ihnen hinterher räumen. Wo sie gingen und standen, sah es danach aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Mertens fragte sich oft, wie sie das hinkriegten. ‚Ihr Deiwel‘ nannte er sie für sich, wenn er einen bei einer Schandtat erwischte. Aber er meinte es liebevoll, denn eigentlich mochte er seine Schüler. Nur wenn es um Sauberkeit und Ordnung ging, kannte er keine Freunde.
Insgeheim war es ihm gar nicht so unlieb, dass sie waren, wie sie waren, denn ansonsten hätte er nur halb so viel zu tun gehabt. Fürs Grobe war schließlich er zuständig. Heute früh zum Beispiel war er wie jeden Tag zur Schule geradelt und hatte vom Rad aus entdeckt, dass es gebrannt hatte. Ein Mülleimer war rußgeschwärzt. Einige verkohlte Fetzen lagen davor. Seine Nackenhaare hatten sich sofort aufgestellt. Es tat weh. Er fühlte tatsächlich so etwas wie körperlichen Schmerz, wenn er das mit ansehen musste. Das war wie eine Beleidigung für ihn und sein Ordnungsempfinden bekam eins über die Rübe.
Sie hatten alles Mögliche probiert: Anzeigen, Sicherheitsdienst, Nachtwächter. Aber die Schüler oder andere Krawallmacher und Rabauken waren nicht in den Griff zu kriegen. Es gab einfach zu viele. Sie konnten ihrer nicht Herr werden.
Für heute hatte Mertens sein Pensum bereits überschritten. Er war ja nicht mehr der Jüngste, hatte das eine oder andere Kilo zu viel auf den Rippen und das Säubern des Mülleimers, mit gefletschten Zähnen, hatte ihn Kraft gekostet.
Dennoch nahm er sich nun den Parkplatz vor. Seine eigentliche Aufgabe für den Vormittag. Die Büsche und Hecken mussten zurückgeschnitten werden, das Grünzeug weggebracht und dann musste er, wohl oder übel, fegen. Er musste es erledigen, sonst würde er nachts kein Auge zubekommen. Es war kurz nach zehn. Um eins wollte er durch sein und seinen freien Nachmittag genießen. Er nahm sich vor, dem Kiosk am Weingarten einen Besuch abzustatten und eine Flasche Ebbelwoi – oder auch zwei –mitzunehmen.
Konrad Mertens stand gerade auf der Leiter und schnitt Äste, als er einen Aufschrei hörte, anschließend ein dumpfes Geräusch und Trippelschritte.
Er setzte die Heckenschere ab und blickte sich um, aber es war niemand zu sehen. Dann meinte er ein Stöhnen zu hören oder ein Wimmern, als sei jemand gefallen und habe sich weh getan.
Er entschied nachzusehen. Auf Leitern klettern und wieder absteigen gehörte wahrlich nicht zu seinen Lieblingsaufgaben, zu beschwerlich und mühsam war es, die Knie machten nicht mehr mit und diese verdammte Schwerkraft zog mächtig, schließlich musste der robuste Leib hinauf und hinab bewegt werden.
Er kam heil auf den Pflastersteinen an und wischte sich einige Schweißtropfen von der Stirn. Puhhhh, die Hitze machte ihm schwer zu schaffen. Unnatürlich heiß für Ende September. Sein Biorhythmus hatte sich längst auf Herbst und ruhige Tage eingestellt.
Er legte sämtliche Gerätschaften und Werkzeuge auf einen Haufen, spähte umher und legte eine Hand ans Ohr wie eine Muschel. Nichts zu hören. Hatte er sich getäuscht? War er mittlerweile senil? Nahm er Sachen wahr, die es nicht gab? Das konnte und wollte er nicht glauben und ging weiter, um sich zu überzeugen.
Vom Parkplatz führte ein Weg zum Schulhof. Die Umgebung war nicht einsehbar, hohe Hecken, dichte Büsche und großblättrige Bäume verhinderten einen guten Blick. Das viele