1. Kapitel
»Weil sie den richtigen
Weg verlassen haben,
irren sie jetzt herum«
2. Petrus 2, 15
Der nachtschwarz lackierte Mercedes fuhr durch die vor Hitze brütenden Straßen von Memphis, umgeben von abertausend anderen Kraftfahrzeugen. Aus den Augenwinkeln betrachtete Jeremiah Jessop seine Mutter, die neben ihm auf dem Fahrersitz des Wagens saß. Kurz erwiderte sie seinen Blick, dann strich sie sich die wenigen strohblonden Strähnen, die nicht fest in ihrem Dutt saßen, aus dem Gesicht und fixierte ihre Augen, ebenso königsblau getönt wie die ihres Sohnes, wieder auf die Straße. In der morgendlichen Rushhour konnte man in Memphis schneller sterben als in den Stromschnellen des Mississippis – was hauptsächlich daran lag, dass niemand so dumm war, sich in die Stromschnellen des Mississippis hineinzuwagen, die Autofahrer hingegen ganz erpicht darauf schienen, ihre Airbags auszuprobieren, ohne zu wissen, dass diese aufgrund der Finanzkrise in immer weniger Autos vorhanden waren.
Jeremiah wandte den Blick wieder nach vorn auf die Straße. Er fragte sich, wo sein Vater wohl gerade steckte … Samuel war heute nicht aufgetaucht, um ihn gemeinsam mit seiner Mutter zu dem Camp zu bringen, welches ihn die nächsten acht Wochen lang beherbergen würde. »Dort kann Ihrem Sohn geholfen werden, Cornelia«, hatte der Pastor zu seiner Mutter gesagt, »die Menschen dort können mithilfe des Glaubens wieder zu Gott zurückfinden und die Seele von der Sünde befreien.«
Jeremiah war der festen Überzeugung, dass ihm die Rettung seiner Seele gelingen würde. Es musste einfach sein! Für seine Mutter, um sie lachen zu sehen; für seinen Vater, der zwar nicht immer für ihn da sein konnte, aber stolz auf ihn sein würde.
Alles würde sich bald ändern!
Auf einmal zog ein Werbeplakat am Straßenrand Jeremiahs Aufmerksamkeit auf sich: Die Flasche Whisky, die darauf abgebildet war, machte ihm mit einem Schlag seine trockene Kehle bewusst. Selbst nach fünf Monaten strikter Abstinenz genügte ein bloßes Bild, um ihn in Versuchung zu führen … Doch an seine vergangene Alkoholsucht wollte er nicht denken.
Auch das würde sich bald ändern. Alles würde sich bald ändern!
Unauffällig blickte er wieder zu seiner Mutter, während sie auf die Autobahn fuhren, die zu dieser Zeit des Jahres stank wie ein Straßenköter. Seine Mutter rückte ihren nur locker übergeworfenen distelgrauen Regenmantel zurecht und bedeckte so ihre schneeweiße Bluse und den beigefarbenen knielangen Rock. Keine Laufmasche zog sich durch ihre sandfarbene Strumpfhose, und die goldene Kreuzket