Ich tauchte unter, suchte den Schlaf, ohne zu wissen, was ich suchte im Schlaf und was mir im Wachsein fehlte, tauchte unter die Decke, unter alle Geräusche, streckte die Beine, drückte mich in die Kissen. Jetzt erst hörte ich meinen Bruder, mit dem ich das Zimmer teilte, wie er sich drehte im Bett und nach der Störung weiterschlafen wollte. Ich wollte jetzt nichts von ihm, sprach ihn nicht an, tauchte zurück in die Wärme, das Glockengetöse noch im Ohr und allmählich entspannt nach der fünfzehnminütigen Plage. Nicht weil ich müde gewesen wäre, sondern weil ich ein seltenes Glück verlängern wollte, versuchte ich den Zustand des Halbschlafs zu erreichen und die Gelegenheit auszukosten, für kurze Zeit keinem Druck, keiner Erwartung, keinem strengen Blick ausgesetzt zu sein.
Es war der einzige Tag in der Woche, an dem ich nicht früh um sechs geweckt wurde, der einzige Tag, an dem die Glocken mich aus dem Schlaf rissen und nicht die auf Fröhlichkeit eingestellte Stimme der Mutter mit ihrem «Guten Morgen!», gedehnt betont auf dem U und dem O. Der einzige Tag, an dem ich nicht spätestens beim Frühstück an die lateinischen oder mathematischen Schrecken des anbrechenden und wie ein riesiges Hindernis vor mir liegenden Schultags denken musste, an mein schlechtes Vokabelgedächtnis, an die halbverdauten Formeln und mein erbärmliches Rechengedächtnis, an die mühsam eingepaukten Unterschiede zwischen Laubmoosen und Lebermoosen oder mein störrisches Biologiegedächtnis. Der einzige Tag in der Woche, an dem ich halbwegs geschützt blieb vor der Entdeckung, wie schlecht und schwach ich in allem war oder mich zu fühlen gezwungen war, schnell in der Angst gefangen, auf alle Fragen dieser Welt, wenn sie von Erwachsenen mit einer bestimmten herrischen Erwartung gestellt wurden, nur mit Stocken und Stottern reagieren zu können. Ich tauchte fort von all den gewöhnlichen Gefangenschaften der Woche und freute mich auf die Erleichterungen des Sonntags, obwohl auch dieser Tag abgesteckt war von milderen Drohungen und Geboten, Gebeten und Regeln, die schon am Sonnabendnachmittag anfingen, wenn mein Bruder und ich für fünf Groschen Taschengeld Straße und Hof zu fegen hatten.
Allein die Vorstellung, nicht wie sonst um diese Zeit im Bus sitzen zu müssen, war schon ein Triumph, auf der einstündigen Berg-und-Tal-Fahrt Wehrda Schletzenrod Wetzlos Stärklos Kruspis Holzheim Hilperhausen Kohlhausen Asbach Bad Hersfeld, über die Lateinische Grammatik oder das Geschichtsbuch gebeugt oder stehend, einer der Jüngsten und Pfarrerssohn hatte als Erster Platz zu machen für Ältere, im schaukelnden Bus durch hundert Schlaglöcher und Kurven geschubst. Ein Tag der Ruhe stand bevor, an dem keine Antworten von mir erwartet wurden, ein Tag, an dem ich mich nicht bloßstellen musste und an dem mein ängstliches, verkrampftes Schweigen weniger auffiel als sonst, weil alles leiser, ruhiger und ohne Temperament abzulaufen hatte.
Schritte auf den Dielen im Flur, Mutterschritte treppab, Großvaterschritte auf dem Weg zur Küche, wo die Waschkanne gefüllt wurde, und zurück ins Großelternzimmer. In den Wänden die Wasserleitungen, unten auf dem Hof die Hühner, in den Bäumen Vogelgezwitscher, das waren die auffälligsten Geräusche. Die Schweine waren um diese Zeit gefüttert, also blieb es ruhig in den Ställen der Nachbarn, ein Pferd wieherte, entferntes Hundegebell, die Kühe draußen auf den Weiden, die Traktoren standen in Garagen und Scheunen – allein an dem, was nicht zu hören war, hätte ich den Sonntag erkannt. Es war hell, Sommer, durch die dünnen blauen Vorhänge die steige