Wissensarbeit und Arbeitswissen: Zur Ethnografie des kognitiven Kapitalismus Eine Einleitung Gertraud Koch und Bernd Jürgen Warneken In Gesellschaften, die sich selbst in der Transition zu Wissensgesellschaften begreifen, gilt Wissen als wesentliche Ressource, die Wohlstand, Entwicklung und nachhaltig produktive Arbeit sichern hilft. Wissen ist dabei allerdings, wie der britische Arbeitsforscher Collin Williams anmerkt, weniger als ein »Rohstoff« und damit als gänzlich neuer Produktivfaktor zu verstehen. Vielmehr handele es sich bei der Betonung des Wissens um eine veränderte Perspektive auf den Faktor Arbeit und auch deren Kommodifizierung (Williams 2005; Williams 2007). Die mit dieser Fokussierung auf Wissen einhergehenden Veränderungen in der Ökonomie bezeichnet Moulier-Boutang (2001) mit dem Begriff »capitalisme cognitif« (vgl. auch Pahl/Meyer 2007) und sieht diesen in Zukunft als primären Modus des kapitalistischen Wirtschaftens. Die Verfügbarkeit und der Zugriff auf sogenannte Externalitäten, also im Umfeld von Unternehmen vorzufindende und mit niedrigen Transaktionskosten einzuverleibende Ressourcen, die sogenannte »netware«, hat dabei einen zentralen Stellenwert. Aus Sicht der Arbeitsforschung stellen sich mit dem postulierten Bedeutungszuwachs von Wissen neue Fragen nach dem Zusammenhang von Wissen, Arbeit und deren kapitalistischer Verwertung. Dabei geht es nicht nur um die Wissensarbeit, die schon seit einiger Zeit als paradigmatisch für zukünftige Arbeitsformen diskutiert wird, sondern genereller um die Nutzbarmachung und die Honorierung verschiedener Wissensformen in unterschiedlichen Arbeitsfeldern. Die Arbeitskulturenforschung kann mit einer kulturtheoretisch informierten Perspektive hier insbesondere auch die Engführungen kognitivistischer Wissensverständnisse erkennbar werden lassen. Der vorliegende Band, hervorgegangen aus einer Tagung im April 2011 an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen, knüpft somit an die kulturanthropologischen und arbeitssoziologischen Diskussionen um den Stellenwert verschiedener Wissensformen in der heutigen Arbeitswelt an. Eine brauchbare Einteilung dieser Formen liefert Frank Blackler, der embrained, embodied, encultured, embedded und encoded knowledge unterscheidet (Blackler 1995). In vielen Analysen der aktuellen, postfordistischen Arbeitskultur wurde davon ausgegangen, dass im Zuge von steigender Verwissenschaftlichung und Informatisierung die Bedeutung von embodied knowledge (von stummem, spontanisiertem, erfahrungsbasiertem Wissen) und embedded knowledge (gruppen- oder organisationskulturell geprägtem Wissen) abnehme und embrained knowledge und encoded knowledge, also kognitives und objektiviertes Wissen, ins Zentrum rückten. Dieser Annahme ist jedoch insbesondere in den letzten Jahren immer mehr widersprochen worden. Dabei wurde vor allem von wissensanthropologischer Seite darauf hingewiesen, dass auch wissenschaftliches Wissen implizite, teils schwer benennbare Anteile hat und zudem in kulturelle Kontexte und soziale Arrangements eingebunden ist. Von arbeitssoziologischer Seite wurde gezeigt, dass nicht nur bei Arbeitswissen allgemein, sondern auch bei sogenannter Wissensarbeit situated skills und pragmatic knowledge eine wesentliche Rolle spielen. Informatiker zum Beispiel kommen nicht mit explizierbarem Fachwissen aus, sondern arbeiten auch mit praktischem Wissen und partizipieren an Handlungs- und Deutungsroutinen ihrer Abteilung. Postuliert wird darüber hinaus ein Trend zur Vervielfältigung der in die heutige Arbeitswelt einbringbaren Wissensformen. Demnach ermöglichen beziehungsweise verlangen die Produktivkräfte und die Organisationsformen der postfordistischen Epoche, dass Arbeitnehmer in ihre Arbeit mit dem ganzen »kulturellen Gepäck« (Gorz 2003) einsteigen, das sie sich in ihrer Arbeits- und Freizeitbiografie erworben haben. Auch die Diagnose einer zunehmenden »Subjektivierung der Arbeit« (Moldaschl/Voß 2002) schließt die wachsende Chance respektive Pflicht ein, jeweils individuelle Kombinationen von kodifiziertem, kognitivem und inkorporiertem, erfahrungsgesättigtem und situationsflexiblem Wissen in die Arbeit einzubringen. Zusammen mit der verstärkten Aufmerksamkeit auf nicht-kognitiven Wissensimplikaten und nicht-kodifizierten Wissensmodi zeichnet die aktuelle Wissensforschung eine Betonung des Prozesscharakters von Wissen aus. So plädiert Frank Blackler dafür, sich von einer auf Wissensbestände fokussierten Wissensforschung zu verabschieden und ihren Gegenstand eher als knowing denn als knowledge zu bezeichnen, nicht zuletzt, weil so die falsche Grenzziehung zwischen Wissen und Lernen aufgehoben würde. Stefan Beck nennt, in Rekurs auf die US-amerikanische Kulturanthropologie, alles Wissen prozessual und praxisbezogen und bestimmt deshalb als Forschungsaufgabe die Ermittlung von Entstehung, Performanz und Transformation von Wissen, ob nun in speziellen Laborversuchen oder im Alltagshandeln. (Beck 2009) Daraus ergibt sich: Wenn Wissensarbeit und Arbeitswissen als sozial, kulturell und situativ »geerdet« anzusehen sind, wenn sich neues Wissen in sozialer Interaktion |