: Gertraud Koch, Bernd Jürgen Warneken
: Wissensarbeit und Arbeitswissen Zur Ethnografie des kognitiven Kapitalismus
: Campus Verlag
: 9783593418681
: Arbeit und Alltag
: 1
: CHF 30.80
:
: Ethnologie
: German
: 424
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Ausgehend von der Erkenntnis, dass Wissen prozessual und kontextabhängig ist, werden in diesem Band dessen Erzeugung und Nutzung mit ethnografischen Methoden untersucht. Dabei geht es neben der vieldiskutierten 'Wissensarbeit' auch um das 'Arbeitswissen' überhaupt. Anhand ganz unterschiedlicher Berufszweige von den Creative Industries über Forschung und Verwaltung bis zum medizinischen und pflegerischen Bereich wird dargestellt, wie sich der Umgang mit Wissen im Zeichen zunehmender Ökonomisierung verändert.

Gertraud Koch ist Professorin am Institut für Volkskunde/Kulturanthropologi an der Universität Hamburg. Zuvor war sie an der Zeppelin Universität tätig, wo sie von 2003 bis 2013 den Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft und Wissenanthropologie inne hatte. Bernd Jürgen Warneken war außerplanmäßiger Professor am Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen.
Wissensarbeit und Arbeitswissen: Zur Ethnografie des kognitiven Kapitalismus Eine Einleitung

Gertraud Koch und Bernd Jürgen Warneken

In Gesellschaften, die sich selbst in der Transition zu Wissensgesellschaften begreifen, gilt Wissen als wesentliche Ressource, die Wohlstand, Entwicklung und nachhaltig produktive Arbeit sichern hilft. Wissen ist dabei allerdings, wie der britische Arbeitsforscher Collin Williams anmerkt, weniger als ein »Rohstoff« und damit als gänzlich neuer Produktivfaktor zu verstehen. Vielmehr handele es sich bei der Betonung des Wissens um eine veränderte Perspektive auf den Faktor Arbeit und auch deren Kommodifizierung (Williams 2005; Williams 2007). Die mit dieser Fokussierung auf Wissen einhergehenden Veränderungen in der Ökonomie bezeichnet Moulier-Boutang (2001) mit dem Begriff »capitalisme cognitif« (vgl. auch Pahl/Meyer 2007) und sieht diesen in Zukunft als primären Modus des kapitalistischen Wirtschaftens. Die Verfügbarkeit und der Zugriff auf sogenannte Externalitäten, also im Umfeld von Unternehmen vorzufindende und mit niedrigen Transaktionskosten einzuverleibende Ressourcen, die sogenannte »netware«, hat dabei einen zentralen Stellenwert. Aus Sicht der Arbeitsforschung stellen sich mit dem postulierten Bedeutungszuwachs von Wissen neue Fragen nach dem Zusammenhang von Wissen, Arbeit und deren kapitalistischer Verwertung. Dabei geht es nicht nur um die Wissensarbeit, die schon seit einiger Zeit als paradigmatisch für zukünftige Arbeitsformen diskutiert wird, sondern genereller um die Nutzbarmachung und die Honorierung verschiedener Wissensformen in unterschiedlichen Arbeitsfeldern. Die Arbeitskulturenforschung kann mit einer kulturtheoretisch informierten Perspektive hier insbesondere auch die Engführungen kognitivistischer Wissensverständnisse erkennbar werden lassen.

Der vorliegende Band, hervorgegangen aus einer Tagung im April 2011 an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen, knüpft somit an die kulturanthropologischen und arbeitssoziologischen Diskussionen um den Stellenwert verschiedener Wissensformen in der heutigen Arbeitswelt an. Eine brauchbare Einteilung dieser Formen liefert Frank Blackler, der embrained, embodied, encultured, embedded und encoded knowledge unterscheidet (Blackler 1995). In vielen Analysen der aktuellen, postfordistischen Arbeitskultur wurde davon ausgegangen, dass im Zuge von steigender Verwissenschaftlichung und Informatisierung die Bedeutung von embodied knowledge (von stummem, spontanisiertem, erfahrungsbasiertem Wissen) und embedded knowledge (gruppen- oder organisationskulturell geprägtem Wissen) abnehme und embrained knowledge und encoded knowledge, also kognitives und objektiviertes Wissen, ins Zentrum rückten. Dieser Annahme ist jedoch insbesondere in den letzten Jahren immer mehr widersprochen worden. Dabei wurde vor allem von wissensanthropologischer Seite darauf hingewiesen, dass auch wissenschaftliches Wissen implizite, teils schwer benennbare Anteile hat und zudem in kulturelle Kontexte und soziale Arrangements eingebunden ist. Von arbeitssoziologischer Seite wurde gezeigt, dass nicht nur bei Arbeitswissen allgemein, sondern auch bei sogenannter Wissensarbeit situated skills und pragmatic knowledge eine wesentliche Rolle spielen. Informatiker zum Beispiel kommen nicht mit explizierbarem Fachwissen aus, sondern arbeiten auch mit praktischem Wissen und partizipieren an Handlungs- und Deutungsroutinen ihrer Abteilung. Postuliert wird darüber hinaus ein Trend zur Vervielfältigung der in die heutige Arbeitswelt einbringbaren Wissensformen. Demnach ermöglichen beziehungsweise verlangen die Produktivkräfte und die Organisationsformen der postfordistischen Epoche, dass Arbeitnehmer in ihre Arbeit mit dem ganzen »kulturellen Gepäck« (Gorz 2003) einsteigen, das sie sich in ihrer Arbeits- und Freizeitbiografie erworben haben. Auch die Diagnose einer zunehmenden »Subjektivierung der Arbeit« (Moldaschl/Voß 2002) schließt die wachsende Chance respektive Pflicht ein, jeweils individuelle Kombinationen von kodifiziertem, kognitivem und inkorporiertem, erfahrungsgesättigtem und situationsflexiblem Wissen in die Arbeit einzubringen.

Zusammen mit der verstärkten Aufmerksamkeit auf nicht-kognitiven Wissensimplikaten und nicht-kodifizierten Wissensmodi zeichnet die aktuelle Wissensforschung eine Betonung des Prozesscharakters von Wissen aus. So plädiert Frank Blackler dafür, sich von einer auf Wissensbestände fokussierten Wissensforschung zu verabschieden und ihren Gegenstand eher als knowing denn als knowledge zu bezeichnen, nicht zuletzt, weil so die falsche Grenzziehung zwischen Wissen und Lernen aufgehoben würde. Stefan Beck nennt, in Rekurs auf die US-amerikanische Kulturanthropologie, alles Wissen prozessual und praxisbezogen und bestimmt deshalb als Forschungsaufgabe die Ermittlung von Entstehung, Performanz und Transformation von Wissen, ob nun in speziellen Laborversuchen oder im Alltagshandeln. (Beck 2009) Daraus ergibt sich: Wenn Wissensarbeit und Arbeitswissen als sozial, kulturell und situativ »geerdet« anzusehen sind, wenn sich neues Wissen in sozialer Interaktion

Inhalt6
1 Einführung10
Wissensarbeit und Arbeitswissen: Zur Ethnografie des kognitiven Kapitalismus – Eine Einleitung – Gertraud Koch und Bernd Jürgen Warneken12
Anmerkungen zu materiell-diskursiven Umwelten der Wissensarbeit – Stefan Beck28
2 Wissensarbeit in den Creative Industries42
Design als postindustrielle Wissensarbeit – Eine ethnografische Erhebung – Katrin Pallowski44
Field-configuring Events (FCE): Raumpolitiken und professionelle Szenen im Designbereich – Bastian Lange60
Wie stabilisieren Organisationen Wissen? Projektarbeit in den Creative Industries – Hannes Krämer82
Usereinbindung im Web 2.0 – Front-Line-Work als strukturelle Schließung in Open-Innovation-Prozessen – Christian Eismann und Sabine Hornung102
3 Körper – Wissen – Arbeit120
Körper-Wissen als Arbeitspraxis in der – postfordistischen Dienstleistung – Einführung in ein Panel über normative und gelebte Berufsprofile in Altenpflege, Friseurgewerbe und Mutterschaft – Irene Götz122
Wohlfühlmanager der Berührungsindustrie – Ethnografisches über den Einsatz von Gefühl und inkorporiertem Wissen im Friseursalon – Sarah Braun128
Erfahrungswissen und Körperarbeit als Arbeitsbewältigungsstrategien in der stationären Altenpflege – Petra Schweiger144
Mit Leib und Wissen Mutter – Zur zunehmenden Professionalisierung von Mutterschaft – innerhalb der erwerbsfreien Sphäre – Petra Schmidt154
Den Körper ins Spiel bringen – Zur Situiertheit von »Arbeits-Wissen«: Ein Kommentar – Manuela Barth168
4 Erfahrungswissen in verschiedenen Arbeitsfeldern174
Am Schalter – au guichet: Kulturvergleichende teilnehmende – Beobachtung des Umgangs mit »Wissen« in Sozialbürokratien – Franz Schultheis176
(Erfahrungs-)Wissen als Planungsressource: Neue Formen der Wissens(ver?-)nutzung im Unternehmen am Beispiel agiler Entwicklungsmethoden – Stefan Sauer und Sabine Pfeiffer196
Der Wandel von Arbeitswissen und Wissensarbeit: Das Beispiel Landwirtschaft – Birgit Huber212
Die Ausbildung von Fachkräften als Konflikt um Wissens- und Vermittlungsformen – Reflexionen anhand eines Fallbeispiels aus der Metallindustrie – Anke Bahl228
Wissenswerter Smalltalk – Beobachtungen in einer Lebertransplantationsambulanz – Katrin Amelang248
Videografische Zugänge zur Verwissenschaftlichung der Arbeit am Beispiel medizinisch-technischen Arbeitswissens – Ines Langemeyer262
5 Wissensregimes in Verhandlung280
Kontrolle durch die (Selbst-)Objektivierung von Erfahrungswissen und Widersprüche im Konzept der Vertrauensorganisation – Stephanie Porschen282
Prekäre versus kreative Arbeitskultur im Prozess der Computerisierung – Nadine Müller300
Von Ton-Trägern und gespeicherten Klängen – Digitalisierungsprozesse und die Veränderung der Arbeit in Medienarchiven – Johannes Müske322
Wissensdynamiken und Flexibilisierung von Arbeit in der Luftfahrtindustrie: Der Trend zum multipel einsetzbaren Mitarbeiter – Claudia Schlager336
Die Bottles-United-Theorie – Alpar Fendo348
Hochschulbildung: Vom öffentlichen Gut zur Ware zum Gemeingut? – Andreas Wittel360
Arbeit an der Ware »Ich«: Zum subjektiven Umgang mit dem »unternehmerischen Selbst« in Career Services – Laura Glauser380
6 Wissen revisited396
Selektives Wissen – Von der Bewältigung des Überflusses – Orvar Löfgren398
Autorinnen und Autoren418