: Friedrich Christian Delius
: Der Königsmacher
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644112711
: Delius: Werkausgabe in Einzelbänden
: 1
: CHF 9.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 336
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Albert Rusch, ein Schriftsteller mit wenig Erfolg, will endlich einen Bestseller schreiben. Da stößt er auf eine alte Familiengeschichte: Seine Urururgroßmutter war das uneheliche Kind einer Berliner Tänzerin und des Prinzen von Oranien, der später als Willem I. den holländischen Thron bestieg. Adel und Boheme, Macht, Liebe, Geld, Intrigen, Leidenschaft, Tod - ideale Voraussetzungen für einen auflagenträchtigen Frauenroman. Rusch identifiziert sich im Zuge der Recherchen mehr und mehr mit seiner Rolle als Nachfahre der Preußenkönige. Er avanciert zum Medienstar und Genie der Selbstvermarktung. «F.C. Delius bricht eine Lanze für die preußische Popliteratur.» (FAZ) «F.C. Delius ist mit ?Königsmacher? ein großer Wurf gelungen. Im Gewand eines rührseligen historischen Romans nimmt er das Geschäft von Leuten aufs Korn, denen Grundsätze, Überzeugungen und intellektuelle Redlichkeit abhandengekommen sind.» (Berliner Morgenpost) «Hier bekommt man mehr als einen historischen Roman, nämlich eine Satire auf den Literaturbetrieb und eine Parabel auf die Nichtplanbarkeit von künstlerischem Erfolg.» (Literarische Welt)

Friedrich Christian Delius, geboren 1943 in Rom, gestorben 2022 in Berlin, wuchs in Hessen auf und lebte seit 1963 in Berlin. Zuletzt erschienen der Roman «Wenn die Chinesen Rügen kaufen, dann denkt an mich» (2019) und der Erzählungsband «Die sieben Sprachen des Schweigens» (2021). Delius wurde unter anderem mit dem Fontane-Preis, dem Joseph-Breitbach-Preis und dem Georg-Büchner-Preis geehrt. Seine Werkausgabe im Rowohlt Taschenbuch Verlag umfasst derzeit einundzwanzig Bände.

50


Den Haag, April 1816. König vor dem Maler, stöhnend. Hofman kommt mit Briefen.

– Was gibts?

– Kanal bei Utrecht wurde gestern begonnen. Der große Straßenplan soll Ende der Woche fertig werden. Staatsanleihen steigen. Bürgermeister von Nijmegen bittet um Entlastung. Steuerausschuss hat den Bericht immer noch nicht fertig. Und in der Sache Berlin haben wir …

– Einen Moment. Herr Paelinck, könnten Sie bitte für einen Augenblick nach nebenan gehen?

– Zu Befehl, aber wann soll ich denn fertig werden, Majestät?

– Das Bild kann warten, der Staat nicht.

Paelinck geht hinaus.

– Jetzt kommt auch noch der Vater, sagt Hofman.

– Welcher Vater?

– Vater Hoffmann.

– Lesen Sie.

– Ich bin der Vater der Demoiselle Hoffmann, welcher Eure Königliche Majestät so viel Gunst erwiesen haben. Ich bin nun dreiundsechzig Jahre alt und kann nichts mehr verdienen …

– Und so weiter. Dem Sohn haben wir doch gerade 1000 Taler gegeben für seine Zimmerei. Wie viele Bettelbriefe kommen denn jetzt noch? Was raten Sie?

– Nichts. Das ist ein Fass ohne Boden. Demoiselle Hoffmann hat ja auch nicht wenig …

– Das geht Sie nichts an, Herr Regierungsrat! Selbst wenn sie so viel kriegt wie ein Minister, sie hat es verdient. Darüber will ich nie wieder eine Andeutung hören, verstanden!

– Zu Befehl, Majestät.

– Und der Alte ist schließlich der Großvater meiner Tochter. Ich will, dass die Leute gut von mir denken. 5 Taler pro Monat.

– Wie Sie befehlen, Majestät.

– Rufen Sie den Künstler wieder rein!

 

Ich lebte so karg, wie ich schrieb. Wartete auf Geld und geniale Einfälle. Aus den Suchmaschinen des Internets und den Bibliotheken zog ich Informationen über die niederländischen Herrscher und ihre Schlösser, doch über Willem erfuhr ich nicht viel. Ich rief meinen Freund H. in Amsterdam an, ein Gitarrist, Jurist und Antimonarchist, der schallend lachte, als ich ihm von meiner Verwandtschaft mit seiner Königin erzählte. Nur weil wir einst in einer Band zusammen gespielt haben, er Bassgitarre, ich Schlagzeug, tat er mir den Gefallen und machte sich auf den Weg in die ihm verhasste Festung des Monarchismus, ins Königliche Palais am Dam. Was er dort fand, schickte er, eine Broschur mit Kurzbiographien, die nichts Neues enthielt. Willem I. war nicht populär, trotz seiner Verdienste als «Kanalkönig» und «Kaufmannkönig». H. hatte drei Postkarten beigelegt mit drei verschiedenen Regenten namens Willem.

Eine der Karten zeigte ein verkleinertes Gemälde von Joseph Paelinck aus dem Besitz des Rijksmuseums: Koning Willem I. (1772–1843). Die beiden anderen waren Porträts von Willems Vater, dem sogenannten Statthalter Willem V., und Willems Sohn, König Willem II. Der Vater wirkte fett, töricht und debil, der Sohn ehrgeizig, militärisch und debil. Ich hatte Glück, unter allen drei Willems sah mein Willem am besten aus, männlich, souverän.

Zugegeben, ich zögerte nicht lange, mich mit dem Königsbild vor den Spiegel zu stellen. Von oben bis unten musterte ich den Mann, der im Hermelinmantel neben seinem Thron posierte. Allein der Mantel oder Umhang, der außen mit rotem Samt besetzt und mit goldenen Löwen bestickt war und sich am Boden zur Schleppe weitete, hätte mit seiner Pracht und seinem Faltenwurf alle Aufmerksamkeit verdient. Ich aber tat nichts anderes, als unsere Gesichtszüge zu vergleichen und die Insignien der Macht wie Degen, Orden, Schärpe und Krone wegzudenken. Je genauer ich schaute, desto zufriedener wurde ich. Nach Ähnlichkeiten brauchte ich nicht zu suchen, so offensichtlich