Vorwort
Dieses Buch ist eine Provokation. Es ist geschrieben für die inzwischen über5 Millionen Fitnessstudiomitglieder mit Sinn für Humor und für75 Millionen andere Deutsche als Ermutigung zum Durchhalten. Aber es ist nicht nur eine Erlaubnis zum herzhaften Lachen in den heiligen Hallen der real existierenden Gesundheitsreligion. Es ist vor allem eine Anleitung zur wirklichen Lust am Leben. Anstatt bloß noch vorbeugend zu leben, um dann gesund zu sterben, plädiert dieses Buch dafür, die kostbaren unwiederholbaren Momente des Lebens zu genießen, zu schmecken, zu erleben.
Nebenbei ist es ein politisches Buch, denn es legt den gewaltigen sozialpolitischen Sprengstoff frei, den die Gesundheitsgesellschaft aufgehäuft hat. Die ungebremste glutvolle Verklärung der Gesundheit als »höchstes Gut« hat längst zum Zusammenbruch von so etwas wie Gesundheitspolitik geführt. Das ist auch kein Wunder, denn Politik ist die Kunst des Abwägens. Ein »höchstes Gut« kann man aber nicht abwägen, dafür muss man immeralles tun. So befürwortet man rituell Systemveränderungen, Qualitätsverbesserungen, Einsparungen, und vor allem ruft man unter allgemeinem Beifall: Bloß keine Zwei-Klassen-Medizin! Doch für wirkliche Einschränkungen zu plädieren bei den Bemühungen um das »höchste Gut« klingt nicht nur irgendwie gotteslästerlich, sondern wäre in jedem Fall politischer Selbstmord.
Nur wenn die gesamte politische Klasse sich verschwört und nachts die Gesundheitsministerin und der Gesundheitsoppositionsführer vor die Mikrofone treten und einer von beiden die soeben erzielte Einigung als »schönste Nacht meines Lebens« bezeichnet, verstummt kurz jede Kritik, da man weder bei religiösen Riten noch beim Beischlaf von außen dazwischenruft. Da die finanzielle Situation verzweifelt ist, kommt es so zu Vereinbarungen zwischen Regierung und Opposition, zwischen rechts und links, zwischen oben und unten, die als »große Reformen« etikettiert werden, in Wahrheit aber überhaupt nichts wirklich lösen. Dass schon immer und auch heute reiche Menschen älter werden können als arme, ist in einer Gesundheitsgesellschaft ein unsäglicher Skandal, der nicht benannt werden darf.
Die Gesundheitsreligion ist ein humorloser gefräßiger Tyrann, der die Menschen von morgens bis abends traktiert, bedroht, belehrt und mit rituellem Gesundheitsgeschwätz das eigenständige Denken einschläfert. Die Leute glauben nicht mehr an den lieben Gott, sondern an die Gesundheit, und alles, was man früher für den lieben Gott tat – Wallfahren, Fasten, gute Werke vollbringen –, das tut man heute für die Gesundheit. Gesundheit gilt dabei wie alles in unserer Gesellschaft als herstellbares Produkt: Man muss was tun für die Gesundheit, von nichts kommt nichts, wer stirbt, ist selber schuld. Und so rennen die Leute durch die Wälder, essen Körner und Schrecklicheres – und sterben dann doch.
Man hat gesagt, die Lebenszeit der Menschen sei heute drastisch zusammengeschmolzen. Während der mittelalterliche Mensch seine diesseitige Lebenszeit plus ewiges Leben vor sich hatte, bleibt dem heutigen Menschen nur noch unendlich weniger Lebenszeit übrig: sein begrenztes Leben auf dieser Welt. Doch je mehr man das merkt, desto mehr breitet sich im Wartesaal des Lebens Unruhe aus. Der Tod ist ausgebrochen im Wartesaal, der endgültige Tod ohne Wenn und Aber. Es