: Bernd Gieseking
: Finne dich selbst! Mit den Eltern auf dem Rücksitz ins Land der Rentiere
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104007571
: 1
: CHF 10,00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 304
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Finnland. Da denkt jeder an Seen, Sauna, Mücken und Elche. Und eine verteufelt schwere Sprache. Aber wer sind die Menschen dort? Verschrobene Einzelgänger? Trinkfest und sangestüchtig? Bernd Gieseking bekommt einen Crashkurs. Weil sein Bruder sich in eine Finnin verliebt hat und seine Eltern ihn in seiner neuen Heimat besuchen wollen, bricht er zu einer Familienreise mit alten Eltern auf und fährt von Kutenhausen nach Lahti. Und das ist so skurril wie alltäglich, das ist aberwitzig und melancholisch schön. Die Geschichte auch eines Findens und sich Wiederfindens, wunderbar humorig und witzig erzählt von einem Routinier des Komischen, der aber eben auch durch alles durch muss: Karaoke und Sauna, Eltern und Elch, Wodka und Wald. Eine authentische Geschichte vom Reisen zu Rentieren - 3.800 km purer Lesespaß. »Ich mache in meinem langen Leben zunehmend die Erfahrung, dass man von Bernd Gieseking unbesehen alles lesen kann.« Harry Rowohlt

Bernd Gieseking, geboren 1958 in Minden-Kutenhausen, ist Kabarettist und Autor von Kolumnen für die »Wahrheit«-Seite der »taz«, Kinderbüchern, Kinderhörspielen für den WDR und den HR sowie diversen anderen Büchern. Seine im FISCHER Taschenbuch erschienen Finnland-Bücher »Finne dich selbst!« und »Das kuriose Finnland-Buch - Was Reiseführer verschweigen« sind Bestseller.

Finnland oder Bali


Es war ein Sonntag im März. Nicht wichtig eigentlich, aber trotzdem im Nachhinein entscheidend. Meine Eltern standen vor mir und sagten: »Wi führt düssen Sommer noh Finnland.« Wir fahren diesen Sommer nach Finnland. Die beiden reden meistens plattdeutsch, »Platt«, wie wir in Ostwestfalen sagen. Nach Finnland also. »Wi wellt Axel beseuken.« Wir wollen Axel besuchen. Axel. Mein kleiner Bruder, aber längst erwachsen. Ausgewandert nach Finnland. Natürlich wegen einer Frau. Nun lebt er in Lahti. Mit ihr. Mit Viivi. Das kann man machen.

Ich sehe meine Eltern nicht oft. Sie leben in Minden, ich inzwischen in Dortmund. Näher dran als vorher, aber doch weit genug weg. Ich mag meine Eltern – solange die Distanz stimmt. Seit vielen Jahren besuche ich sie immer nur für ein paar Stunden, und diese Zeit schaffen wir in der Regel problemlos miteinander. Ich übernachte auch nicht mehr bei ihnen, sondern nehme mir lieber ein Hotelzimmer, damit die Distanz stimmt, um genügend, aber nicht zu viel Nähe haben zu können. Sonst erstreiten wir uns schnell den nötigen Abstand. Inzwischen haben wir viel Spaß miteinander, aber wir können uns ohne Probleme, von einer seit Kindheit und Pubertät antrainierten, spontanen Konfliktfähigkeit getragen, innerhalb von Sekunden »in die Wolle kriegen«. Nach den frühen »Kriegsjahren« bin ich heute mit beiden eng befreundet. Sie sind witzig-herzliche Ostwestfalen, die aus meinem Bruder und mir die Menschen machten, die wir heute sind. Alles ist gut. Es sei denn, wir treffen zu lang aufeinander, Eltern und Söhne, Mutter, Vater, Bruder und ich.

Jetzt wollten meine Eltern also nach Finnland fahren. Hermann und Ilse. Ich war überrascht von dieser Reise-Ankündigung. Wie wollten sie das denn bewerkstelligen? Meine Eltern sind körperlich durchaus gehandicapt. Hermann war dem Teufel, »dän Düvel«, wie man bei uns in Ostwestfalen sagt, in seinem Leben bereits mehrfach von der Schippe gesprungen, nun hatte man ihm geraten, nur noch im deutschsprachigen Ausland Urlaub zu machen. Mit »unser« Mutter, mit Ilse, ist es auch nicht viel besser. Regelmäßig unregelmäßig überkommen sie Schwindel, Übelkeiten und Hörstürze. Die führen zu Fahrradstürzen oder von Treppen herunter, aber all das hindert sie nicht, mit alter Heftigkeit, Hektik und Unnachgiebigkeit die Chefin der Kompanie zu geben. Meine Mutter erzieht gerne und bis heute. Ihr größter Fall ist übrigens mein Vater.

 

Meine Eltern standen also vor mir, im Garten in Minden-Kutenhausen, meinem Heimatdorf, vom kahlen Apfelbaum überschattet. Raureif lag auf dem Feld. Wir beobachteten ein Fasanenpaar, das sich über den Acker langsam zu uns herüber pickte.

Die Fasane pickten, meine Eltern stritten. Das waren sonst normale, schöne, gleichförmige Tage im Jahresrund. Aber nun diese Ankündigung: »Wir fahren diesen Sommer nach Finnland.«

Ich fragte: »Wie wollt ihr das denn machen? Ihr könnt doch nicht fliegen mit euren Malessen.«

Malessen sind Krankheiten, die von kleinen Blessuren bis hin zu schweren Infarkten reichen können. Der Ostwestfale erträgt das stoisch und redet nicht lang darüber. Er redet ohnehin nicht sehr viel.

Beide im Chor: »Wir fahren mit dem Auto.«

Ich starrte sie an. »Aber ihr könnt doch, so kaputt wie ihr seid, nicht mit dem Auto alleine bis nach Finnland fahren!«

Beide: »Worümme? Hier führ wi doch ok!« Wieso? Hier fahren wir doch auch!

Ich hatte einen Sommerurlaub geplant und mich noch nicht endgültig zwis