: Henning Mankell
: Erinnerung an einen schmutzigen Engel Roman
: Paul Zsolnay Verlag
: 9783552055896
: 1
: CHF 10.80
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 352
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Schweden, Anfang 20. Jahrhundert: Die junge mittellose Hanna muss als älteste von fünf Geschwistern ihr Heimatland verlassen und kommt in die portugiesische Kolonie Mocambique. Sie wird dort ein Vermögen erben, ein Bordell leiten und einige Jahre später spurlos wieder verschwinden. Auf der Grundlage weniger überlieferter Dokumente hat Bestsellerautor Henning Mankell einen spannenden, farbenprächtigen Roman über eine außergewöhnliche Frau geschrieben, die ihren eigenen Weg zwischen den weißen Rassisten und der schwarzen Bevölkerung in Afrika finden muss.

Henning Mankell (1948 - 2015) lebte als Schriftsteller und Theaterregisseur in Schweden und Maputo (Mosambik). Seine Romane um Kommissar Wallander sind internationale Bestseller. Zuletzt erschienen bei Zsolnay Treibsand (Was es heißt, ein Mensch zu sein, 2015), die Neuausgabe von Die italienischen Schuhe (Roman, 2016), Die schwedischen Gummistiefel (Roman, 2016) und die frühen Romane Der Sandmaler (2017), Der Sprengmeister (2018) und Der Verrückte (2021).

1


Wir schreiben das Jahr 1904. Eine erstickend heiße tropische Morgendämmerung.

In diesem fernen Jetzt dümpelt ein Dampfer unter schwedischer Flagge in der sanften Dünung. An Bord befinden sich einunddreißig Besatzungsleute, darunter eine Frau. Sie heißt Hanna Lundmark, geborene Renström, und arbeitet als Köchin an Bord.

Aber insgesamt hatten zweiunddreißig Personen die Reise nach Australien mit schwedischem Kernholz und Brettern für Saloonböden und die Wohnzimmer reicher Schafsfarmer angetreten.

Einer der Besatzungsmänner ist kürzlich verstorben. Er war Steuermann und mit Hanna verheiratet.

Er war jung und lebenslustig. Obwohl Kapitän Svartman ihn gewarnt hatte, ging er an Land, als sie in einem Wüstenhafen südlich von Suez Kohle bunkerten. Er fing sich ein tödliches Fieber ein, wie es an Afrikas Küsten grassiert.

Als er erkannte, dass er sterben würde, begann er vor Angst zu brüllen.

Zu keinem der Seeleute, die an seinem Sterbebett saßen, Kapitän Svartman und der Zimmermann Halvorsen, sagte er ein letztes Wort. Auch nicht zu Hanna, die nach einmonatiger Ehe Witwe werden sollte. Er starb schreiend und schließlich wimmernd vor Angst.

Er hieß Lars Johan Jakob Antonius Lundmark. Hanna betrauert ihn, fast besinnungslos von dem, was geschehen ist.

In der Morgendämmerung, am Tag nach seinem Tod, bewegt sich das Schiff kaum. Es hat beigedreht, da bald eine Seebestattung stattfinden wird. Kapitän Svartman will nicht warten. Sie haben kein Eis an Bord, um den Leichnam zu kühlen.

Hanna steht am Heck, einen Abfalleimer in der Hand. Sie ist klein und hochbusig, hat freundliche Augen. Ihre braunen Haare sind im Nacken zu einem strengen Knoten geschlungen.

Sie ist nicht schön. Aber auf merkwürdige Weise strahlt sie aus, dass sie ein durch und durch wahrhaftiger Mensch ist.

Hier und jetzt. Hier befindet sie sich. Auf dem Meer, an Bord eines Dampfers mit zwei Schornsteinen. Beladen mit Holz, unterwegs nach Australien. Heimathafen: Sundsvall.

Das Schiff heißtLovisa. Es wurde in der Finnboda Werft in Stockholm gebaut. Aber der Heimathafen hat immer an der norrländischen Küste gelegen.

Zunächst gehörte es einer Reederei in Gävle, die nach fehlgeschlagenen Spekulationen in Konkurs ging. Dann wurde es nach Sundsvall verkauft. In Gävle hieß esMatilda, nach der Frau des Reeders, die mit ungeschickten Fingern Klavier spielte. Jetzt heißt esLovisa, nach der jüngsten Tochter des neuen Reeders.

Einer der Teilhaber heißt Forsman. Er hat dafür gesorgt, dass Hanna Lundmark Arbeit an Bord bekam. Zu Hause bei Forsmans gibt es ein Klavier, aber niemand spielt darauf. Hingegen hört er zu, wenn der Klavierstimmer zu seinen regelmäßigen Besuchen kommt.

Jetzt ist Steuermann Lars Johan Jakob Antonius Lundmark an einem rasenden Fieber gestorben.

Es ist, als wäre die Dünung erstarrt. Das Schiff liegt da wie mit angehaltenem Atem.

So stelle ich mir den Tod vor, denkt Hanna Lundmark. Eine plötzliche Stille, unerwartet, die von nirgendwo herkommt. Der Tod ist wie der Wind. Ein rascher Wechsel nach Lee.

Ins Lee des Todes. Dann nichts mehr.

2


In diesem Moment überfällt Hanna eine Erinnerung.

An ihren Vater, an seine Stimme, die gegen Ende seines Lebens nur noch ein Flüstern war. Als verlangte er von ihr, alles, was er sagte, wie ein kostbares Geheimnis zu bewahren.

Ein schmutz