: Stefan Zweig
: Richard Friedenthal
: Balzac Eine Biographie
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104001807
: Gesammelte Werke in Einzelbänden
: 1
: CHF 4.00
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 577
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mit den Autorenporträts aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. »Seit 30 Jahren habe ich ihn gelesen und immer wieder gelesen, ohne meine Bewunderung zu verlieren.« Mit seinem »großen Balzac«, wie er selbst ihn nannte, wollte Stefan Zweig die Summe seiner schriftstellerischen Erfahrung ziehen, Biographie und Kritik in einem schreiben, »etwas Gültiges hinterlassen, ein Werk, das einige Jahrzehnte überdauert«. Er hat diesen als magnum opus angelegten Lebensroman allerdings nie abschließen können - Richard Friedenthal, der Freund, bearbeitete posthum mit großem Einfühlungsvermögen und gewissenhafter Akribie das »in allen wesentlichen Teilen fertige Buch« für die Veröffentlichung 1946 im Bermann-Fischer Verlag in Stockholm.

Stefan Zweig wurde am 28. November 1881 in Wien geboren und lebte ab 1919 in Salzburg, bevor er 1938 nach England, später in die USA und schließlich 1941 nach Brasilien emigrierte. Mit seinen Erzählungen und historischen Darstellungen erreichte er weltweit in Millionenpublikum. Zuletzt vollendete er seine Autobiographie ?Die Welt von Gestern? und die ?Schachnovelle?. Am 23. Februar 1942 schied er zusammen mit seiner Frau »aus freiem Willen und mit klaren Sinnen« aus dem Leben.

Erstes Buch

Jugend und erste Anfänge


Erstes Kapitel

Tragödie einer Kindheit


Ein Mann von dem Genie Balzacs, der kraft einer überschwenglichen Phantasie einen vollkommenen zweiten Kosmos neben den irdischen zu stellen vermag, wird nur selten fähig sein, bei belanglosen Episoden seiner privaten Existenz sich immer streng an die nüchterne Wahrheit zu halten; alles wird sich bei ihm der souveränen umformenden Willkür seines Willens unterordnen. Diese selbstherrliche Transformierung vieler seiner Lebensepisoden setzt charakteristischerweise schon bei der – sonst unveränderlichen – Grundtatsache einer bürgerlichen Existenz ein: bei seinem Namen. Eines Tages, etwa in seinem dreißigsten Jahr, entdeckt Balzac der Welt, daß er nicht Honoré Balzac, sondern Honoréde Balzac heiße, und mehr noch, er behauptet, nach Fug und Recht von je zur Führung dieser Adelspartikel befugt gewesen zu sein. Während sein eigener Vater nur zum Spaß und im allerengsten Familienkreise von der Möglichkeit geflunkert hatte, der altgallischen Ritterfamilie der Balzac d’Entrague vielleicht entfernt verwandt zu sein, erhebt der phantasiemächtige Sohn diese windige Vermutung herausfordernd zur unbestreitbaren Tatsache. Er unterzeichnet seine Briefe, seine Bücher mit »de« Balzac, er läßt sogar das Wappen der d’Entragues auf seine Reisekalesche nach Wien aufmontieren. Verspottet wegen dieser eitlen Selbstadelung von den unfreundlichen Kollegen, antwortet er frank und frech den Journalen, sein Vater hätte diese adelige Herkunft längst vor seiner Geburt schon in amtlichen Dokumenten festgestellt; das Adelsprädikat in seinem Geburtsschein wäre darum nicht minder gültig als jenes Montaignes oder Montesquieus.

Leider besteht nun in unserer unfreundlichen Welt eine gehässig-nachspürende Feindschaft der dürren Dokumente gegen die blühendsten Legenden der Dichter; peinlicherweise ist jene von Balzac triumphierend zitierte Geburtsurkunde in den Archiven der Stadt Tours erhalten, aber bei seinem Namen kein Buchstabe von jenem aristokratischen »de« zu finden. Der Amtsschreiber von Tours verzeichnet unter dem Datum des21. Mai1799 kalt und klar:

Heute, am zweiten Prärial des siebenten Jahres der Französischen Republik, erschien vor mir, Pierre-Jacques Duvivier, unterzeichnetem Standesbeamten, der Bürger Bernard-François Balzac, Eigentümer, wohnhaft am hiesigen Orte, rue de l’Armée d’Italie, Sektion du Chardonnet Nr.25, um die Geburt eines Sohnes anzumelden. Der besagte Balzac erklärte, daß das Kind den Namen Honoré Balzac erhält, und daß es gestern morgen um elf Uhr geboren wurde, im Hause des Anmeldenden.

Ebensowenig tun die andern Dokumente, weder die Todesanzeige des Vaters noch die Vermählungsanzeige der ersten Tochter, dieses Adelstitels Erwähnung, der sich demnach mit all seinen genealogischen Exkursen als glattes Wunschprodukt des großen Romanciers erweist.

Aber behalten die Dokumente auch buchstabenmäßig recht gegen Balzac, so hat doch sein Wille – sein schöpferischer glühender Wille – glorreich recht behalten gegen die kalten Papiere; immer siegt trotz aller nachträglichen Berichtigungen Dichtung über die Geschichte. Obwohl kein französischer König ihm oder einem seiner Ahnen je einen Adelsbrief unterzeichnet hatte, nennt die Nachwelt auf die Frage nach dem Namen des größten französischen Epikers dennoch, ihm gehorsam: Honoré de Balzac, und nicht etwa Honoré Balzac oder gar Honoré Balssa.

Denn Balssa, nicht Balzac und schon gar nicht de Balzac lautet der richtige Fam