Zweites Kapitel
Von diesem Punkt an wird die Geschichte komplizierter. Ich kann niederschreiben, was mit mir passiert ist, aber so genau und vollständig ich es auch tun mag, all das ergibt doch nur einen Teil der Geschichte, die ich eigentlich erzählen will. Es wurden andere Leute darin verwickelt, die am Ende mit dem, was mit mir passierte, genau so viel zu tun hatten wie ich selbst. Ich denke an Kitty Wu, an Zimmer, an Leute, die mir damals noch unbekannt waren. Erst viel später zum Beispiel erfuhr ich, dass Kitty es war, die damals an die Tür meiner Wohnung geklopft hatte. Meine Possen bei jenem sonntäglichen Frühstück hatten sie beunruhigt, und anstatt sich einfach weiter Sorgen um mich zu machen, hatte sie beschlossen, mal bei mir vorbeizugehen und nach dem Rechten zu sehen. Allerdings hatte sie Schwierigkeiten, meine Adresse herauszufinden. Am nächsten Tag sah sie im Telefonbuch nach, aber da ich kein Telefon hatte, stand ich auch nicht drin. Das steigerte ihre Besorgnis noch. Sie erinnerte sich, dass ich nach einem Mann namens Zimmer gefragt hatte, und begann jetzt selbst nach diesem Zimmer zu suchen – sie wusste, dass er vermutlich der einzige Mensch in New York war, der ihr sagen konnte, wo ich wohnte. Leider bezog Zimmer seine neue Wohnung erst in der zweiten Augusthälfte, also zehn bis zwölf Tage nach unserer Begegnung. Ungefähr in dem Augenblick, als es ihr gelang, seine Nummer bei der Information zu erfragen, ließ ich in meiner Wohnung die Eier auf den Boden fallen. (Wir ermittelten das fast auf die Minute genau, indem wir die chronologische Abfolge aufbereiteten, bis jedes Detail seinen Platz hatte.) Sie rief sofort bei Zimmer an, aber da war besetzt. Sie brauchte mehrere Minuten, bis sie durchkam, aber inzwischen saß ich bereits im Moon Palace und würgte an meinem Essen. Danach fuhr sie mit der U-Bahn zur Upper West Side. Die Fahrt zog sich jedoch über eine Stunde lang hin, und als sie endlich vor meiner Wohnung stand, war es zu spät. Ich war so gedankenverloren, dass ich auf ihr Klopfen nicht reagierte. Sie erzählte mir, sie habe fünf bis zehn Minuten vor meiner Tür gestanden. Sie hörte mich da drinnen mit mir selbst reden (aber so gedämpft, dass sie nichts verstehen konnte), und dann begann ich anscheinend plötzlich zu singen – ein verrückter, unmelodischer Singsang, sagte sie –, woran ich mich aber überhaupt nicht erinnern kann. Sie klopfte noch einmal, doch ich rührte mich nicht. Da sie mir nicht lästig fallen wollte, gab sie schließlich auf und ging.
So hat Kitty Wu mir die Sache erklärt. Anfangs hörte sich das recht plausibel an, aber je mehr ich darüber nachdachte, desto weniger überzeugend fand ich ihre Geschichte. «Ich verstehe noch immer nicht, warum du gekommen bist», sagte ich. «Wir haben uns doch nur dieses eine Mal getroffen, und da kann ich nicht gerade Eindruck auf dich gemacht haben. Warum hast du dir wegen jemand, den du gar nicht kennst, solche Mühe gemacht?»
Kitty sah zu Boden. «Weil du mein Bruder warst», sagte sie ganz leise.
«Das war doch nur ein Scherz. Wegen eines Scherzes macht man doch nicht solche Umstände.»
«Nein, wahrscheinlich nicht», sagte sie und zuckte leichthin die Achseln. Ich dachte, sie wollte noch etwas sagen, aber nach einigen Sekunden schwieg sie noch immer.
«Nun?», sagte ich. «Warum hast du es getan?»
Sie sah kurz zu mir auf und fixierte dann wieder den Boden. «Weil ich dachte, du seist in Gefahr», sagte sie. «Ich dachte, du seist in Gefahr, und mir hatte noch nie jemand so leid getan wie du.»
Am nächsten Tag kam sie wieder zu meiner Wohnung, aber da war ich schon weg