: Nils B. Heyen
: Gendiagnostik als Therapie Die Behandlung von Unsicherheit in der prädiktiven genetischen Beratung
: Campus Verlag
: 9783593412849
: Kultur der Medizin
: 1
: CHF 30.80
:
: Soziologie
: German
: 411
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Die prädiktive genetische Beratung ist eine neuartige medizinische Praxis, in der gesunde Menschen auf Gendefekte hin untersucht werden, die erst im späteren Leben eine schwere Krankheit zur Folge haben können. Nils Heyen analysiert konkrete Beratungsgespräche aus soziologischer Perspektive und rekonstruiert so das therapeutische Potential, das die prädiktive Gendiagnostik im Hinblick auf die Probleme der Ratsuchenden hat. Vor diesem Hintergrund verortet er die gendiagnostische Praxis gesellschafts- und professionalisierungstheoreti ch und zeigt, dass die Zukunft keineswegs zwangsläufig zu einer technokratischen (Bio-)Medizin führt.

Nils B. Heyen, Dr. phil., hat am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der Universität Bielefeld promoviert und ist derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe.
Wer als 'gut informierter Bürger' (Schütz 1946) die wichtigsten Nachrichten und öffentlichen Debatten in den Massenmedien verfolgt, erfährt regelmäßig von den neuesten Erkenntnissen und Fortschritten der humangenetischen Forschung und biotechnologischen Entwicklung. Man weiß etwa, dass es ein mit großen internationalen Anstrengungen vorangetriebenes Humangenomprojekt gegeben hat, das die komplette Sequenzierung des menschlichen Erbgutes zum Ziel hatte und 2003 erfolgreich abgeschlossen wurde, und vielleicht weiß man sogar, dass damit wissenschaftlich deutlich weniger gewonnen worden ist als ursprünglich erwartet. Man registriert die Debatte zur Stammzellforschung und ihrer rechtlichen Regulierung in Deutschland. Man liest und hört Berichte von der Entdeckung eines bestimmten Gens, das für eine menschliche Eigenschaft oder eine spezifische Krankheit verantwortlich gemacht wird, und erfährt auch manchmal etwas über den aktuellen Stand der Bemühungen um die Entwicklung einer Gentherapie. Man wird zunehmend vertraut mit Begriffen wie Klonen oder Präimplantationsdiagnostik und nimmt vielleicht auch Reportagen von Journalisten zur Kenntnis, die dem kostspieligen Angebot mancher Unternehmen im Internet gefolgt sind, das eigene persönliche Genom analysieren zu lassen. Weit weniger präsent ist in den Medien dagegen, wie sehr humangenetische Erkenntnisse und Technologien bereits Eingang in die medizinische (Anwendungs-)Praxis gefunden haben. Längst ist die Humangenetik im medizinischen Alltag angekommen. Das betrifft nicht nur die sogenannte Pränataldiagnostik, die schon lange zur Routine in der Schwangerschaftsvorsorge gehört, sondern auch die sogenannte (postnatale) prädiktive Gendiagnostik. Sie dient der Untersuchung von symptomfreien, das heißt klinisch gesunden Menschen auf Erbanlagen hin, welche die Disposition für eine sich erst im späteren Leben manifestierende Erkrankung mit sich bringen. Es geht ihr mit anderen Worten um genetisch bedingte Krankheitsrisiken, also nicht um aktuelle, sondern um
Inhalt6
Vorwort10
1 Einleitung12
2 Prädiktive Gendiagnostik, humangenetische Beratung und die Berufsgruppe der humangenetischen Ärzte – Einführung und Forschungsstand24
2.1 Prädiktive Gendiagnostik – Grundlagen, Implikationen, Deutungen26
2.1.1 Grundlagen und Begriffsbestimmungen der prädiktiven Gendiagnostik26
2.1.3 Gesellschaftliche Implikationen der prädiktiven Gendiagnostik38
2.1.4 Die diskursive Deutung der prädiktiven Gendiagnostik als Krankheitsprävention45
2.2 Humangenetische Beratung – Grundlagen, Forschung, Ethik, Diskurs50
2.2.1 Grundlagen und Begriffsbestimmungen der humangenetischen Beratung50
2.2.2 Humangenetische Beratung als Gegenstand empirischer Forschung59
2.2.3 Zur Ethik der humangenetischen Beratung63
2.2.4 Das genetische Beratungsgespräch als Informations- und Entscheidungshilfegespräch69
2.3 Die Berufsgruppe der humangenetischen Ärzte – professionssoziologische Aspekte76
2.3.1 Die Berufsgruppe der humangenetischen Ärzte als Teil der medizinischen Profession76
2.3.2 Standards und Leitlinien in der medizinischen Profession82
2.3.3 Unsicherheitsabsorption durch Standards und Leitlinien humangenetischer Beratung86
2.3.4 Auf dem Weg zur Bestimmung typisch ärztlich-professionellen Handelns95
3 Prädiktive Gendiagnostik und prädiktive genetische Beratung – theoretische Perspektiven98
3.1 Unterscheidungstheoretische Beobachtung der prädiktiven Gendiagnostik100
3.1.1 Unterscheidungstheoretische Grundlagen100
3.1.2 Dekonstruktion der diskursiven Deutung der prädiktiven Gendiagnostik in Unterscheidungen104
3.1.3 Rekonstruktion zweier Beobachtungsweisen der prädiktiven Gendiagnostik112
3.2 Prädiktive genetische Beratung und Gesellschaftstheorie115
3.2.1 Das Gesundheitssystem der Gesellschaft116
3.2.2 Medizintheorie und Gesundheitswissenschaften: Selbstbeschreibungen des Gesundheitssystems130
3.2.3 Die prädiktive genetische Beratung des Gesundheitssystems143
3.3 Prädiktive genetische Beratung aus professionalisierungstheoretischer Sicht149
3.3.1 Professionalisiertes Handeln149
3.3.2 Professionalisierungstheoretische Kritik und Entwicklungsgeschichte der Nichtdirektivität160
3.3.3 Die prädiktive genetische Beratung: eine professionalisierte Praxis?163
4 Die problembewältigende Praxis der prädiktiven genetischen Beratung – empirische Untersuchung168
4.1 Methodisches Vorgehen170
4.1.1 Datenerhebung und Datenmaterial171
4.1.2 Datenauswertung: das Verfahren der objektiven Hermeneutik179
4.2 Exemplarische Analyse eines genetischen Beratungsgesprächs183
4.2.1 Zwischenfazit zum behandlungsbedürftigen Klientenproblem204
4.2.2 Zwischenfazit zur ärztlichen Problemerfassung und -behandlung225
4.2.3 Zusammenfassung240
4.3 Das Unsicherheitsproblem und seine stellvertretende Bewältigung244
4.3.1 Das Problem der Klienten mit ihrer Unsicherheit246
4.3.2 Die Erfassung des Unsicherheitsproblems256
4.3.3 Die Behandlung des Unsicherheitsproblems262
4.3.4 Zusammenfassung277
4.4 Zur Professionalisiertheit der Unsicherheitsbewältigung278
4.4.1 Zum Arbeitsbündnis zwischen Arzt und Klient279
4.4.2 Zum Spannungsverhältnis von Wissensbasis und Fallspezifität293
4.4.3 Zusammenfassung303
4.5 Zur Praxisreflexion der genetischen Berater306
4.5.1 Ziel der Beratungspraxis und das zu bewältigende Klientenproblem309
4.5.2 Zum Arbeitsbündnis zwischen Arzt und Klient315
4.5.3 Zum Spannungsverhältnis von Wissensbasis und Fallspezifität329
4.5.4 Zum Selbstverständnis der genetischen Berater332
4.5.5 Zusammenfassung338
4.6 Die prädiktive genetische Beratung als professionalisierte Unsicherheitsbewältigungspraxis – Zusammenfassung der Befunde340
5 Resümee und Ausblick345
Literatur375
Sachregister407
Verzeichnis der Transkriptionszeichen412