: Ellen Überschär
: Fürchtet euch nicht! Frauen machen Kirche
: Kreuz
: 9783451339424
: 1
: CHF 10.80
:
: Christliche Religionen
: German
: 160
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nie war die Kirche ein Hort der Frauenemanzipation. Immer spät dran und immer nur 'ein bisschen'. Und trotzdem wird die evangelische Kirche von Frauen gemacht: 55 Prozent der Kirchengemeinderäte und immerhin ein Drittel der Pfarrstellen sind in weiblicher Hand. Nur in den Kirchenleitungen sind Männer meistens unter sich. Seit Margot Käßmann ihre leitenden Kirchenämter abgegeben hat, spürt man noch deutlicher, wie wenig Frauen an der Spitze der Institution etwas zu sagen haben. Die Zielvorgabe der EKD-Synode aus dem Jahr 1989: 40 Prozent Frauen auf allen Führungsebenen - gescheitert. Höchste Zeit also, einmal nachzufragen, woran das liegt, und wie sich daran etwas ändern lässt. Gemeinsam mit den Männern und ohne einen vorgestrigen Feminismus zu bemühen. Ellen Ueberschär hat gute Ideen.

Die evangelische Theologin Ellen Ueberschär wurde 1967 in Berlin-Pankow geboren und ist seit 2017 Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Von 2006 bis 2017 war sie Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentags in Fulda.

Fürchtet euch nicht!–
Vorbemerkungen


Ich fange mit einer Anekdote an: 2011, also im Jahr 22 nach dem Fall der Mauer, lud mich die Frauenarbeit im tiefsten Süden Deutschlands zu einem Vortrag ein–über Frauen in der Kirche. Vorgestellt wurde ich dem geneigten Publikum als»Frau mit einer Außenperspektive«. Wohlgemerkt: Ich habe einen deutschen Pass, spreche fließend Deutsch und habe mein bisheriges Berufsleben in deutscher Theologie und Kirche verbracht. Einige Zuhörerinnen schauten entsprechend fragend, bis sich herausstellte, dass die Veranstalterin mein Aufwachsen in der DDR als eine Art Migrationshintergrund einstufte.

Das Publikum war in Teilen empört, ich war erstüberrascht und dann nachhaltig amüsiert. Die Veranstalterin hatte natürlich recht: Wenn es um feministische Generationenkonflikte, um Rabenmütter und gut gepflegten weiblichen Selbstzweifel geht, bin ich in der Tat eine Ausländerin– mit dem Unterschied, dass das frühere Ausland DDR heute genauso Inland ist wie der tiefste Süden der Bundesrepublik. So viel zu meinem Ausgangspunkt, von dem aus ich mich meinem Thema nähere: Frauen machen Kirche.

 

Machen sie das wirklich? Es gibt Fakten, die dagegen zu sprechen scheinen:

Die große Zielvorgabe der EKD-Synode von 1989  40 Prozent Frauen in allen Gremien und Führungspositionen: gescheitert. Derzeit freuen wir uns zwar wiederüber drei Bischöfinnen, aber was ist das unter 22? Die erste Frau in der höchsten Position der evangelischen Kirche, die große Leuchtturmfrau Margot Käßmann– 2010 gescheitert. Der Anteil der Frauen an den Führungsämtern in der evangelischen Kirche geht eher zurück, und für Frauenfragen will niemand mehr zuständig sein, höchstens noch für Gleichstellung oder Gender. Machen Frauen Kirche?

Da sind natürlich noch die Pfarrerinnen. Im zweiten Jahrtausend nach dem berühmten biblischen Satz:»Hier ist weder Mann noch Frau …« besetzen in den evangelischen Kirchen in Deutschland Frauen ein Drittel der Pfarrstellen. Das ist natürlich ein Erfolg. Aber noch kein Grund zur Euphorie. Auch wenn manche– erinnert sich noch jemand an die Thesen des Münchner Theologieprofessors Friedrich Wilhelm Graf vom vergangenen Frühjahr?– wegen der vielen Pfarrerinnen eine»Feminisierung der Kirche« fürchten und besorgt einen Trend zur»Kuscheltheologie« auszumachen meinen. Graf hatte sich bei einer Tagung vonFAZ undHerrhausen-Gesellschaft dazu hinreißen lassen, alle Theologiestudentinnen als»Muttitypen« zu diffamieren. Es sei ihm, so im Nachhinein die rhetorischen Entgleisungen rechtfertigend, nur darum gegangen, einmal die Frage zu stellen, wie sich denn die Kirche verändern würde, wenn Frauen mehrheitlich das Sagen hätten. Ja, wie würde sie sich wohl verändern?

 

Eine Schelmin, die nicht an die Unschuld dieser Frage glaubt. Von Zeit zu Zeit muss Kirche offenbar gegen den Verdacht von zu viel Weiblichkeit verteidigt werden. Das istübrigens nichts wirklich Neues. Ein kurzer Blick in die Geschichte der evangelischen Kirche im 20. Jahrhundert genügt: Im November 1939 erschien imBerlin-Steglitzer Sonntagsbrief ein Artikel, der der antichristlichen Stimmung entgegentreten wollte. Gegen den Vorwurf, das Christentum sei eine»Religion der Unmännlichkeit und der Weichlichkeit«, führte das Blättchen triumphal die hohe Zahl von Theologiestudenten unter den Gefallenen des Ersten Weltkriegs ins Feld:»Es gibt keine andere Erklärung als die, dass diese jungen Menschen sich an Jesus Christus gebunden gewusst haben, dass dieser Jesus Christus dem Tode die Macht genommen hat und dass darum die, die an ihn glauben, dem Tod mit Freudigkeit ins Auge sehen.« (Archiv Berlin 1) Nein, so wollte der Autor sagen, das Christentum ist nicht unmännlich oder gar weiblich, und er benutzte ein einfaches Rezept: Er reduzierte die Theologiestudenten auf ihre Geschlechtlichkeit und deutete ihren Tod fürs Vaterland als Frucht ihres christlichen Glaubens. Das Christentum, so wollte er sagen, gehöre auf die Seite der Vaterlandstreue und der Männlichkeit.

 

Nun mag die Herstellung einer Verbindung zwischen dem Jahr 1939 und Friedrich Wilhelm Graf heute etwas krass erscheinen. Bei näherem Hinsehen ist sie es nicht. Das Argument der Marginalisierung des Christlichen durch seine Verweiblichung hat das militärische Gewand zwar abgelegt. Die Kirche muss heute nicht mehr gegen den Vorwurf verteidigt werden, sie sei nicht soldatisch genug. Heute muss sie offenbar gegen den Vorwurf verteidigt werden, sie sei intellektuell nicht satisfaktionsfähig. Ein und dasselbe Argument kommt nur im anderen Gewand daher. Bereiche, die von Frauen geführt werden, so der gemeinsame Grundtenor, verlören wahlweise ihr wissenschaftliches, politisches oder gesellschaftliches Ansehen. Friedrich Wilhelm Graf gegenüber derFrankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung:»Wir erleben nun eine Art Infantilisierung der Kommunikation.« (27. 3. 2011)

 

Machen Frauen Kirche? Wo Spitzenpositionen zu vergeben sind, eher weniger, und meh