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BEDROHUNG UND ERLÖSUNG
März bis April 1944
»Schlimmer kann es weiß Gott nicht mehr kommen«, sagte die noch im fünften Kriegsjahr wohlgenährte Frau Schmand. Sie zeigte mit ihrer Stricknadel in Richtung Kellerdecke, zählte namentlich die Mitbewohner auf, die mit ihr zwischen Kartoffelkisten, Kohlen, Weckgläsern und ausrangierten Decken auf Schemeln, Küchenstühlen und Matratzen hockten, und betonte: »Schlimmer wahrhaftig nicht.« Allerdings lagen zwei Knäuel dunkelblauer Wolle in Frau Schmands Schoß, und die waren ein eindeutiger Hinweis dafür, dass sie mit einem Luftangriff von längerer Dauer rechnete. Um an so schöne Wolle in Vorkriegsqualität zu kommen, hatte sie einen Pullover ihres jüngsten Sohns auftrennen müssen. Hans-Dieter war vor zehn Monaten in Russland gefallen. Nun strickte Frau Schmand warme Socken für ihren Ältesten. Obwohl von Eberhardt, dem fleißigen und mitteilsamen Briefeschreiber, seit vier Monaten keine Nachricht mehr eingetroffen war, glaubte die Mutter ihn wohlauf an der Ostfront. Kleingläubigkeit wäre für sie Verrat an der deutschen Sache gewesen. Sie versäumte keine Gelegenheit, ihrem Lebensmotto zu dienen. In der NS-Frauenschaft und auch in der Gemeinschaft ihrer Kirchenschwestern, zu denen sie weiter Kontakt hielt, wenn auch einen sehr losen, galten ihr Optimismus und ihre Energie als vorbildlich und beispielhaft für die Gemeinschaft. Auch ihr Mann fand es aufbauend, dass seine Gudrun selbst zu Hause, wo sie keiner hörte, nie am glücklichen Ausgang des Kriegs zweifelte.
Die baumstarke Gudrun Schmand mit dem dicht geflochtenen Zopf um den Kopf und einer Vorliebe für Trachtenblusen war die Frau des Blockwarts im Haus Thüringer Straße 11; bei Luftalarm ging sie grundsätzlich mit fünf Scheiben Brot, einem Gläschen Schweineschmalz, Paketschnur, einem kleinen Küchenmesser und Strickzeug in den Luftschutzkeller.
Hinter den eingeweckten grünen Bohnen, die Frau Schmand für Eberhardts Rückkehr von der Ostfront aufbewahrte, denn sie hatte ihm Bohnensuppe mit Speck für den ersten Tag in der Heimat versprochen, hatte sie einen kleinen Schreibblock und einen Bleistiftstumpf deponiert. Es war Frau Schmand viel daran gelegen, Äußerungen von Mietern, die ihr defätistisch und somit staatsgefährdend erschienen, umgehend zu notieren. »Belastende Bemerkungen müssen sofort aufgeschrieben werden, auf das Gedächtnis ist kein Verlass«, hatte sie von ihrem Mann Willibald gelernt. Er war im Ersten Weltkrieg schwer verwundet worden, auf dem linken Ohr taub und hatte nur zwei Finger an der rechten Hand. Seine Pflicht für Führer und Vaterland vermochte er also nur an der Heimatfront zu tun, aber dort stand er seinen Mann wie ein germanischer Recke. Willibald Schmand war ein aufmerksamer, zuverlässiger und harter Streiter für die deutsche Sache. Seine Frau folgte s