Politische Fremdsprachen
«Kommen Sie zu mir, wenn Sie fertig sind», hatte Klaus Wagenbach 1968 gesagt, damals waren wir noch beim Sie. Eine Halbtagsstelle als Lektor in seinem Verlag, das war die beste, seit langem erträumte Aussicht. Einen angenehmeren Chef konnte ich mir kaum vorstellen, ein Kumpeltyp, immer zu Witz und Spott aufgelegt, literarisch beschlagen und auf Außenseiter setzend, politisch hellwach, ein Frauenfreund, ein Mann mit vielen Kontakten und noch mehr Einfällen und vor allem: ein cleverer Verleger. Die Aussicht auf den Lektorenstuhl in der Jenaer Straße half mir, die Dissertation «Der Held und sein Wetter» rascher zu Ende zu bringen, mich nicht weiter aufzuhalten mit Nebenarbeiten und mit Überlegungen zur Relevanz des Schreibens.
Bald nach dieser Zusage rutschte ich in die übliche Promotionskrise, wollte abbrechen und gleich als Lektor anfangen, da kam der kluge Rat: «Nein, schreiben Sie das Ding fertig, Sie werden sich sonst ein Leben lang vorwerfen, ein Studienabbrecher zu sein. Ich halte Ihnen die Stelle frei.» Endlich im Juli 1970 begann die Arbeit an Manuskripten und Fahnen der Bücher, die in den turbulenten Aufbruchszeiten zu klaren Köpfen verhelfen sollten.
Ende der sechziger Jahre war der Verlag Klaus Wagenbach schon nicht mehr der «Ein-Mann-Verlag», der er nie war. Von Anfang an, 1964, waren zwei Frauen dabei, Helga Scheller und Katia Wagenbach, bald auch, 1966, ein Lehrling, mein Bruder Eberhard. Der Verlag hatte sich nicht nur vergrößert, er hatte sich deutlich verändert. Das literarische Programm war internationaler geworden (Césaire, Manganelli, Vian, Ritsos, Zwetajewa), und von deutschen Autoren waren solche mit starker politischer Neigung hinzugekommen (Fried, Karsunke, von Törne, Schenk, Schneider).
Die stärkste programmatische Erweiterung jedoch hat mich weniger erfreut, die 1968 begonnene Reihe der Rotbücher. Mir wäre es lieber gewesen, der Verlag wäre ein literarischer geblieben, aber an der Entscheidung war der studierende Jungautor natürlich nicht beteiligt und akzeptierte sie. Für Sachbücher gab es eigentlich genügend Verlage, und es gründeten sich ständig neue. Wagenbach wollte auf diesem Wachstumsmarkt mitmischen und sich profilieren, indem er von den Büchern selbst ein Maximum verlangte. Die Rotbücher sollten ausdrücklich mehr leisten als andere, also nicht nur informieren, aufklären, Fragen stellen, erheitern, nicht nur der Orientierung, Horizonterweiterung und schärferen Politisierung des Publikums dienen, diese Bücher sollten zur Organisierung der Linken beitragen:
«Damit Geschichte sich nicht in totale Freiheit auflöst, die mit der totalen Macht verbündet ist, kann auf die organisierende Funktion der Theorie nicht verzichtet werden. Das antiautoritäre Lager ist so weit verstreut und in seinen Teilen so weit voneinander isoliert, daß u. a. eine kommerzielle Buchreihe diese Funktion übernehmen muß. Ein Versuch in dieser Richtung sind die Rotbücher», die weniger vom Verlag bestimmt werden sollten als von der «organisatorischen Entwicklung des antiautoritären Lagers. Gegen die Angst vor einer solchen Bestimmung: eine bürokratische Verselbständigung ist nicht die Folge des fehlenden Liberalismus, sondern des fehlenden revolutionären Bewußtseins, der Einheit von Widerspruch und Disziplin.» (Verlagsalmanach 1968)
Der Verleger hatte sich von einigen SDS-Studenten, die einen aus der Gruppe, Wolfgang Dreßen, als Lektor delegierten, überzeugen lassen, nur eine Reihe bei ihm könne diese «organisatorische Entwicklung des antiautoritären Lagers vorantreiben». Dass ein begabter Fragensteller zum Antwortgeber mutiert, dass ein Einzelgänger, ein mutiger Narziss sich neben seiner aufreibenden Arbeit als Literaturverleger und pfiffiger Anthologist («Atlas», «Tintenfisch», «Lesebuch») noch als geistiger Oberorganisator des linken «Lagers» betätigt – v