: Leena Lehtolainen
: Sag mir, wo die Mädchen sind Ein Finnland-Krimi
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644307117
: Die Maria Kallio-Reihe
: 1
: CHF 10.00
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 352
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Innerhalb weniger Wochen verschwinden in Espoo drei muslimische Mädchen. Die Teenager haben oft einen Jugendclub besucht, in dem auch Maria Kallios Tochter Iida gern ihre Freizeit verbringt. Kallio hat vor kurzem die Leitung einer Sondereinheit der Kripo übernommen und befasst sich mit Fällen wie diesem, die aus dem üblichen Ermittlungsraster fallen. Kaum hat Marias Team damit begonnen, Menschen aus dem Umfeld der Mädchen zu befragen, taucht ein weiteres totes Mädchen auf. Die Iranerin Noor wurde mit ihrem eigenen Kopftuch erdrosselt. Schnell stellt sich heraus, dass das Mädchen einen finnischen Freund hatte. Alle Spuren deuten auf einen Ehrenmord. Während der Verbleib der anderen drei Mädchen nach und nach zu klären ist, wird Noors Cousin verhaftet. Dann aber stößt Maria Kallio in dem Jugendclub auf Umtriebe, die sie an ihrem Verdacht zweifeln lassen. Maria Kallios zehnter Fall besticht durch seine Aktualität und den differenzierten Blick auf Integration und Islam in Europa.

Leena Lehtolainen, 1964 geboren, lebt und arbeitet als Literaturwissenschaftlerin, Kritikerin und Autorin in Degerby, westlich von Helsinki. Sie ist eine der auch international erfolgreichsten finnischen Schriftstellerinnen, ihre Ermittlerin Maria Kallio gilt nicht nur als eine Art Kultfigur der finnischen Krimiszene, sondern erfreut sich auch bei deutschen Leserinnen und Lesern seit dem Erscheinen des ersten Bandes der Reihe 1994 ungebrochener Beliebtheit.

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Guck dir das an, Maria, ist das nicht eine klare Sache?», drängte Koivu. Es war am späten Vormittag meines zweiten Arbeitstages, als er endlich dazu kam, mir die Serie der Vermisstenfälle zu präsentieren, die ihm verdächtig erschien. Ich saß mit ihm und Puupponen in meinem neuen Dienstzimmer. Die beiden Männer teilten sich den angrenzenden großen Raum, der je nach Bedarf als Ermittlungszentrum oder als Besprechungsraum verwendet werden konnte. In meinem Dienstzimmer fanden außer dem Schreibtisch eine Couch, ein Sofatisch und ein Sessel Platz. Koivu stand am Flipchart und schrieb. Dann befestigte er das Foto eines Mädchens an der Pinnwand. Das Kopftuch ließ nur das Gesicht mit den lebhaften Augen frei, die Lippen waren ganz leicht geschminkt.

«Der erste Fall, am zweiten Januar. Aziza Abdi Hasan, siebzehn Jahre alt, aus Afghanistan. Vor vier Jahren nach Finnland gekommen, die Familie hat eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Aziza hat in Leppävaara die achte Klasse besucht, ist also nach diesem Schuljahr noch ein Jahr lang schulpflichtig. Sie ist mit Abstand die Älteste in ihrer Klasse, was an ihren lückenhaften Sprachkenntnissen und der fehlenden Grundschulausbildung liegt – sie ist erst hier in Finnland eingeschult worden, konnte vorher nicht einmal lesen. Wenn man das in Betracht zieht, hat sie sehr gute Fortschritte gemacht. Nach Aussage ihrer Eltern ist sie in den Weihnachtsferien mit einem Onkel zu Verwandten in Stockholm gefahren. Als sie nach den Ferien nicht zur Schule kam und die Familie keine Auskunft über ihren Verbleib geben konnte, hat das Schulamt Vermisstenanzeige erstattet. Die finnische Botschaft in Stockholm hat sich mit der dortigen Polizei in Verbindung gesetzt, die daraufhin die Verwandten vernommen hat. Weder Aziza noch ihr Onkel ist dort aufgetaucht. Der Onkel hat die schwedische Staatsbürgerschaft und ist den Passagierlisten zufolge am siebenundzwanzigsten Dezember mit dem Schiff nach Finnland gekommen. Über die Rückfahrt gibt es keinen Vermerk. Die schwedische Polizei hat die Fahndung eingeleitet. Übrigens hat die Familie auch in Dänemark Verwandte. Sollte das Mädchen mit Einverständnis seiner Angehörigen untergetaucht sein, decken sie sich gegenseitig.

Der zweite Fall, am fünfundzwanzigsten Januar. Sara Amir, bosnische Muslima, vierzehn Jahre alt, ebenfalls in der achten Klasse, aber an einer anderen Schule. Die gleiche Geschichte: Die Eltern haben keine Vermisstenanzeige erstattet. Die Schule hat sich mit dem Sozialamt in Verbindung gesetzt, das dann uns alarmiert hat. Die Eltern sagen, das Mädchen sei nach Bosnien zurückgekehrt, was sie allerdings nicht nachweisen können. Die Familie besitzt eine unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis und hat die finnische Staatsbürgerschaft beantragt. Ich war mit den Sozialarbeitern dort. Mikael Amir, der Vater, hat die anderen Familienmitglieder nicht zu Wort kommen lassen. Sara ist die einzige Tochter, das mittlere von fünf Kindern. Die Mutter sah verweint aus, hat aber nichts gesagt. Das Schulfoto ist vom letzten Jahr, dieses Jahr war Sara krank, als die Klassenfotos gemacht wurden.»

Auf dem Foto wirkte das Mädchen noch kindlich. Ihr Gesicht war hager und ernst, in den Augen lag Furcht. Ich hatte geglaubt, die bosnischen Muslime seien säkularisiert, aber Saras Kopftuch verbarg alle Haare und war unter dem Hals verknotet.

«Ich hätte gern unter vier Augen mit der Mutter gesprochen, aber das war nicht möglich. Der Vater hat beteuert, er würde die Polizei natürlich sofort informieren, wenn er erfährt, wo sich das Mädchen aufhält. Bisher haben wir nichts von ihm gehört.» Koivu rückte seine Brille zurecht. Er hatte sich kurz vor Weihnachten Bifokallinsen zulegen müssen.

«Der dritte Fall, am vierzehnten Februar. Ayan Ali Jussuf, aus dem Sudan, unbefristete Aufenthaltsgenehmigung, wie ihre ganze Familie. Achtzehn Jahre alt, nicht mehr schulpflichtig und nach finnischem Gesetz volljährig. Keine Vermisstenmeldung seitens d