: Hans-Rüdiger Schwab, Winfried Becker, Angelika Sander, Jan Dirk Busemann, Aleksandra Chylewska-Tölle
: Hans-Rüdiger Schwab
: Eigensinn und Bindung Katholische Intellektuelle im 20. Jahrhundert
: Butzon& Bercker GmbH
: 9783766641168
: 1
: CHF 21.10
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: Christentum
: German
: 812
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ob in Philosophie, Literatur, Bildenden Künsten, Publizistik oder Politik - katholische deutsche Intellektuelle haben die geistige Landschaft des 20. Jahrhunderts wesentlich mitgeprägt. Sie stellten Fragen an die Zeit und ihre Mitmenschen, die anderen nicht einfielen oder die sie nicht zu stellen wagten. Hans-Rüdiger Schwab hat 39 Porträts ganz unterschiedlicher Männer und Frauen - Laien allesamt - zusammengestellt, die den großen Spannungsbogen katholischen Geisteslebens im 20. Jahrhundert widerspiegeln. Gemeinsam ist ihnen, dass sie jenseits der in sich geschlossenen katholischen Milieus den Aufbruch zu neuen Ufern wagten. Ein faszinierendes Stück Zeitgeschichte in Porträts.

Hans-Rüdiger Schwab, geboren 1955, Studium der Germanistik und Katholischen Theologie; Dramaturg am Schauspielhaus in Zürich, Leiter der Redaktion 'Kunst und Literatur' beim Bayerischen Fernsehen in München; seit 1996 Professor für Kulturpädagogik an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Münster; zahlreiche Veröffentlichungen in den Bereichen Literatur und Philosophie

Karl Muth (1867 – 1944)


Karl Muth und das„Hochland“
Kulturelle und politische Impulse für einen Katholizismus„auf der Höhe der Zeit“


Winfried Becker


Karl Muth wurde am 31. Januar 1867 in Worms als Sohn des Kirchen- und Kunstmalers und späteren Gewerbeschuldirektors Ludwig Muth geboren. Der Rheinhesse gewann seinen Lebensmittelpunkt in München, gab dort von 1903 bis 1941 im Verlag Kösel„Hochland“ heraus, die jahrzehntelang führende katholische„Monatsschrift für alle Gebiete des Wissens, der Literatur und Kunst“. Auch die Lebensläufe des in Darmstadt geborenen Philosophen und Politikers Georg von Hertling und des aus Koblenz stammenden Gelehrten und Publizisten Joseph Görres verzeichneten die Wanderung vom Geburtsort im ehemals stiftischen Deutschland, dessen städtische Zentren sich nach der großen Säkularisation nicht weiter entfaltet hatten, in die Kulturhauptstadt Süddeutschlands. Bereits im Elternhaus las Muth die großen Historiker seiner Zeit, neben Görres Johannes Janssen, Karl Adolph Menzel und Georg Gottfried Gervinus. Weit ausgreifende, doch wenig konzentrierte Studien der Geschichte, der Literatur und der Staatswissenschaften führten ihn nach Berlin, Paris und Rom (1892/93). Vorher schon war dem Zögling der Missionsschulen in Steyl und Algier (1884/85) die entscheidende Begegnung mit der Welt des französischen Geistes vermittelt worden: durch keinen Geringeren als den Erzbischof von Algier, Kardinal Charles de Lavigerie, den geistlichen Förderer des Ralliement, des Anschlusses der französischen Katholiken an die Dritte Republik.1

Muths publizistisches Schaffen begann bescheiden gemäß den Gegebenheiten der Zeit. Er lieferte Gelegenheitsarbeiten für das„Mainzer Journal“, das Berliner Zentrumsblatt„Germania“ und die Straßburger Tageszeitung„Der Elsässer“. 1895 wurde Muth Chefredakteur des monatlich in Einsiedeln/Schweiz erscheinenden illustrierten Familienblattes„Alte und Neue Welt“. Mit früh erwachtem Qualitätsbewusstsein verbannte er die Kitschromane aus deren Spalten und nahm dafür die Werke eines André Theuriet oder Henryk Sienkiewicz auf. Beide, der auf den Spuren Honoré de Balzacs wandelnde französische Romancier und der patriotische polnische Journalist und Schriftsteller, waren moderne Erzähler von Format, die allerdings einige Gemeinsamkeiten hatten. Sie versuchten sich an einer neuen Art von Roman, dem Heimat- oder Regionalroman und dem patriotisch ausgerichteten Geschichtsroman; sie entdeckten die Religion, das Milieu, das historische Timbre als konstitutive Faktoren für ihre Helden und die Gesellschaft. Sie richteten Muths Blick auf die„Heimatkunst“. Mit einem bedeutenden Vertreter dieser Gattung, Friedrich Lienhard, ging Muth ein Freundschaftsverhältnis ein. Muth und Lienhard begriffen das beim Publikum rasch Beliebtheit gewinnende Genre aber nicht wie Adolf Bartels in einem Blut und Boden verherrlichenden Sinne, sondern sahen, wie es von Schriftstellern verschiedener Völker und Sprachnationen aufgegriffen wurde, um einer je eigenen Gefühls- und Glaubenswelt, Tradition, Herkunft und Prägung künstlerisch Gestalt zu verleihen. Die herkömmlichen Tendenzen des Konservativismus und Realismus, die sich hier zeigten, gewannen gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine neue Funktion; sie wurden nun als Gegenkräfte zur damals vordringenden impressionistischen Auflösung oder naturalistischen Verzeichnung menschlicher Charaktere verstanden.

Der„katholische Literaturstreit“

Mit seinen unter dem Pseudonym„Veremundus“ veröffentlichten literaturtheoretischen Schriften von 1893 und 1898 trat Muth recht wirkungsvoll und nachhaltig an eine breitereÖffentlichkeit. Er entfachte vor dem Hintergrund der Debatteüber die angebliche Inferiorität der deutschen Katholiken im Kaiserreich den„katholischen Literaturstreit“. Besonders seine zweite Schrift erregte die Gemüter. Sie trug den Titel:„Steht die Katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit? Eine litterarische Gewissensfrage.“2 Muth entwarf ein ernüchterndes Bild der katholischen Präsenz im hoch entwickelten Geistesleben der Nation. Er erblickte keinen einzigen katholischen Dramatiker von Rang und sah den katholischen Literaturbetrieb weithin von der Vorherrschaft des Klerus abhängig. In den katholischen Familienblättern tummelte sich eine höchst mittelmäßige Romanliteratur, dieängstlich jeden Anschein sogenannter„Unsittlichkeit“ mied und dazu von einer engherzigen, säuerlich-moralisch gehandhabten, höheren Gesichtspunkten konsequent sich verschließenden Literaturkritik– die nach Muths Beobachtung den Namen kaum verdiente–überwacht wurde.

Muths Analyse war sachlich und schonungslos, zuweilen polemisch, verließ aber nicht den damalsüblichen Rahmen konfessioneller Solidarität. Was seine Auffassung von den Inferioritätsvorwürfen unterschied, die von nicht-katholischer Seite erhoben wurden, war sein Glaube, dass die Lage durch die entschlossene Selbsthilfe katholischer Intellektueller und Schriftsteller gebessert werden könne. Am Anfang stand, wie der Titel verhieß, die„litterarische Gewissensfrage“. Die stellte Muth aber den Künstlern aller Konfessionen und Weltanschauungen gleichermaßen. Denn er sah die entscheidende Vorgabe für jeden Künstler in der entschlossenen Besinnung auf den allein maßgeblichenästhetischen Rang eines Kunstwerkes. Muth hat diesen Standpunkt später vertieft, zur intensiven und breiten Lektüre der von der Allgemeinheit als hochrangig anerkannten Werke aufgerufen, um die Kritikfähigkeit und Selbstständigkeit des mitdenkenden Lesers zu schulen. Dann erst werde jeder für sich prüfen und erkennen können, was sich aus der breiten Lektüre für die eigene Lebensgestaltung annehmen und herausfiltern lasse. Der Leser, so gegen Manipulation gefeit, werde sich in der Regel nur auf eine sehr begrenzte Rezep