Bitte kommen sie in Zivil!
Harstad, März 1942
John Berthung kann nicht ahnen, was später einmal aus der Einladung werden sollte, die er an diesem Vormittag im März des Jahres 1942 ausspricht. Der Norweger leitet die Druckerei der ZeitungHarstad Tidende, und seitdem die deutsche Wehrmacht die nordnorwegische Stadt Harstad besetzt hält, ist man dort gezwungen, auch Aufträge für die Besatzungsmacht auszuführen. Meist hat John es dabei mit dem deutschen Unteroffizier Robert Teschner zu tun, einem mittelgroßen Mann von Ende zwanzig, der für John mit seinen blonden Haaren und seinen blauen Augen eher wie ein Schwede aussieht. Der Soldat ist ihm fast ein wenig sympathisch, weil er glaubt, hinter der Uniform des Deutschen ein Unbehagen zu spüren.
Die Menschen in Harstad bemühen sich so gut es geht mit der Situation umzugehen, in der sie schon seit zwei Jahren leben müssen. Auch Berthungs Familie versucht das, seine Frau Annie, der 20-jährige John, der als Erstgeborener nach seinem Vater heißt und seit einiger Zeit im südnorwegischen Elverum arbeitet, die 19-jährige Lillian, die 12-jährige Eileen und der 5-jährige Bjørn.
Abbildung 3
Aber oft ist die Stimmung in dem grünen einstöckigen Holzhaus in der Halvdansgate 16 gedrückt, auch deshalb, weil es immer schwieriger wird, genug zu essen auf den Tisch zu bekommen. Dann fährt Annie mit dem Bus hinaus aus der Stadt zu den Bauernhöfen nach Kilhus, Kanebogen oder Kilbotn, um Lebensmittel zu organisieren, denn in den Geschäften gibt es kaum noch Eier, Butter, Gemüse oder Kartoffeln. Lebensmittel sind seit langem rationiert. In diesem dritten Besatzungsjahr wagen sich immer weniger Schiffe mit Nachschub durch das verminte Meer nach Nordnorwegen. Wenn der Schnee geschmolzen ist, fährt Annie mit dem Rad von Hof zu Hof, um das zu besorgen, was zu Hause fehlt: »Ihr müsst genügend Vitamine bekommen«, sagt sie zu Lillian, Eileen und Bjørn, wenn sie nach einem solchen Tag zu Hause ihren Rucksack auspackt. Ihr Mann liebt sie dann noch mehr, als er es sowieso schon tut. Und er bewundert seine zarte Frau für die Kraft und Zähigkeit, mit der sie diese schweren Zeiten meistert.
John, der aus Sandnessjøen, einem kleinen Ort wenige Kilometer südlich des Polarkreises, als junger Buchdruckermeister nach Harstad gekommen war, hatte Annie Anfang 1920 dort kennen- und lieben gelernt, und sie, die aus einer strenggläubigen Baptistenfamilie stammte, hatte in ihrer Zuneigung zu dem großen gutaussehenden Mann einfach ignoriert, dass sie es in John mit einem Freidenker zu tun hatte. Ihre frommen Eltern hatten zudem noch darüber hinweggesehen, dass ihre Tochter diesen Mann am Ende heiraten musste, denn John junior war bereits vor der Hochzeit unterwegs gewesen.
Im Gegensatz zu den Norwegern sind die Soldaten der Wehrmacht gut versorgt. Sie erhalten ihr Essen zum Teil aus der Heimat und bedienen sich außerdem noch großzügig bei den Fischern am Hafen. In der Küche in der Halvdansgate 16 sieht Lillian dagegen wieder, wie verzweifelt ihre Mutter ist, wenn das Brot auch nach zwei Stunden Backzeit innen noch ganz roh aus dem Ofen kommt. »Das liegt an dem feuchten Brotmehl. Jetzt muss ich es noch mal eine Stunde backen.«
Lillian schaut, ob genügend Kohle im weiß emaillierten Kohleofen ist, denn niemand kann sagen, ob am Abend nicht wieder der Strom abgestellt wird. Deshalb muss in diesen Märztagen darauf geachtet werden, dass es, wenn die Elektroöfen ausgehen, warm bleibt. Die Rationierung des Stroms ist auch eine Folge der deutschen Besatzung. Die fremden Bataillone in Harstad benötigen so viel Elektrizität, dass die Stromversorgung der Kommune an ihre Grenzen stößt.
Lillian betrachtet Annie, die das Brot wieder in den Backofen schiebt. Sie hängt sehr an ihrer Mutter. Als kleines Mädchen war sie im Garten immer wie