: Mark Twain
: Die Abenteuer von Tom Sawyer Roman
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104018126
: Fischer Klassik Plus
: 1
: CHF 4.00
:
: Hauptwerk vor 1945
: German
: 255
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenpoträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Schule schwänzen, Höhlen erforschen, als Pirat auf dem Mississippi leben: Mark Twains aufmüpfiger, liebenswerter Held Tom Sawyer ist ein Lausbube, wie er im Buche steht. Nicht zufällig gehört ?Tom Sawyer? zu den beliebtesten Kinder- und Jugendromanen der Weltliteratur. Darüber hinaus aber ist der Roman mit seiner Kritik am spießbürgerlichen Leben ein bis heute aktueller Gesellschaftsroman, der sich an alle jung gebliebenen Erwachsenen richtet.

Mark Twain (1835-1910, eigtl. Samuel Langhorne Clemens) war Drucker, Lotse, Reporter und Schriftsteller. Er hat zahlreiche Erzählungen, Romane und Reisebücher geschrieben.

Erstes Kapitel


»Tom!«

Keine Antwort.

»Tom!«

Keine Antwort.

»Was ist nur in den Jungen gefahren, frage ich mich? He, Tom!«

Die alte Dame zog ihre Brille auf der Nase nach vorn und schaute über die Gläser hinweg im Zimmer umher; dann schob sie sie ganz hoch und blickte unter den Gläsern hervor. Nach etwas so Kleinem wie einem Jungen sah sie so gut wie nie durch siehindurch, denn dies war ihre Feiertagsbrille, ihr ganzer Stolz; sie waren nur zur Zierde angefertigt worden, nicht weil sie sie brauchte – durch ein Paar Ofenringe hätte sie genausogut sehen können. Sie blickte sich einen Augenblick lang verwirrt um und sagte, nicht wütend, aber immer noch laut genug, daß die Möbelstücke es hören konnten: »Also, wenn ich dich erwische, dann werde ich …«

Sie sprach den Satz nicht zu Ende, denn sie beugte sich bereits vor und stocherte mit dem Besen unterm Bett – und jeder einzelne Stoß wurde von einem heftigen Keuchen begleitet. Außer der Katze scheuchte sie allerdings nichts auf:

»So was wie diesen Jungen habe ich noch nie gesehen!«

Sie ging zur Tür, die offenstand, stellte sich in den Türrahmen und blickte hinaus zwischen die Tomatenstauden und das Stechapfelgestrüpp, aus denen der Garten bestand. Kein Tom. Also erhob sie die Stimme zu einer Lautstärke, die für größere Entfernungen bestimmt war, und rief: »Ju-hu, Tom!«

Sie hörte ein leises Geräusch hinter sich und konnte sich gerade noch schnell genug umdrehen, um einen kleinen Jungen am Zipfel seiner kurzen Jacke zu erwischen und seine Flucht zu verhindern. »Hab ich dich! In der Speisekammer, da hätte ich auch selber drauf kommen können. Was hast du da drin gemacht?«

»Nichts.«

»Nichts? Schau dir mal deine Hände an. Und schau dir mal deinen Mund an. Was ist das da?«

»Ich weiß nicht, Tante.«

»Aber ich weiß es. Das ist Marmelade. Ich hab dir schon hundertmal gesagt, wenn du die Finger nicht von der Marmelade läßt, zieh ich dir das Fell über die Ohren. Gib mir die Rute.«

Die Rute zitterte in der Luft. Die Lage war verzweifelt.

»Oh! Schau mal, hinter dir, Tante!«

Die alte Dame drehte sich auf dem Absatz um und raffte ihre Röcke hoch. Der Bursche machte sich augenblicklich aus dem Staub, kletterte den hohen Lattenzaun hinauf und verschwand auf der anderen Seite.

Seine Tante Polly stand einen Augenblick lang überrascht da und lachte dann gnädig.

»Also, da soll doch einer den Jungen … lern ich denn nie dazu? Hat er mir denn noch nicht schon genug Streiche gespielt, so daß ich eigentlich auf der Hut sein müßte? Aber alte Narren sind die größten Narren, die’s gibt. Einem alten Hund bringt man keine neuen Kunststücke bei, wie man so sagt. Du meine Güte, jedesmal kommt er mit einem anderen Trick daher, wie soll man da ahnen, was kommt? Er weiß genau, wie lange er mich ärgern kann, bevor er mich auf die Palme bringt, und er weiß, wenn er es schafft, daß ich einen Augenblick durcheinander bin oder lachen muß, ist die Wut schon wieder verraucht, und ich kann ihn einfach nicht mehr verhauen. Ich tue einfach nicht meine Pflicht gegenüber dem Jungen, und Go