Manche Grenzen haben wir schon, bevor wir Kinder bekommen, und von einigen unserer Grenzen sollten wir uns nach Möglichkeit in dem Augenblick trennen, wenn uns das kleine Wunder zum ersten Mal tief in die Augen schaut. Andere Grenzen behalten wir bei, und wieder andere modifizieren wir im Laufe der Zeit, während wir unsere Kinder kennen- und uns selbst besser verstehen lernen.
Die eigenen Grenzen zu kennen und benennen zu können ist keine notwendige Voraussetzung von Elternschaft, sondern ein lebenslanger Lernprozess, der im Umgang mit dem Partner, den Kindern, deren Partnern, den Enkelkindern und unseren eigenen Eltern stattfindet.
Die generellen Grenzen
Die generellen Grenzen sind diejenigen, die allgemein dort gelten, wo man sich gerade befindet: In dieser Gesellschaft, dieser Familie, dieser Schule, diesem Verein und so weiter verhält man sich so und so und nicht anders. Es sind die allgemein akzeptierten Normen der Kultur, der wir angehören oder in der wir gerade zu Gast sind. Über die generellen Grenzen, von denen wir meinen, dass sie auch innerhalb unserer eigenen vier Wände zu gelten haben, sollten wir nach Möglichkeit genau nachdenken, um zu sehen, ob wir bereit sind, sie zu unseren eigenen zu machen und für sie einzustehen.
Vor nur dreißig bis vierzig Jahren bestand über die generellen Grenzen große Einigkeit. Sie wurden im Großen und Ganzen überall in der Gesellschaft in gleicher Weise deutlich gemacht und aufrechterhalten, und alles war sicher und gut. Das ist jetzt anders. Die Zeit ist vorbei, in der sich Eltern und andere Erwachsene damit begnügen konnten, die generellen Grenzen mit einem schlichten «Das tut man nicht!» zu begründen. Moderne Kinder brauchen nur den Fernseher anzuschalten oder Freunde zu besuchen, um zu entdecken, dass man alles Mögliche tut. Auch sind die Erwachsenen nicht mehr so schnell bereit, sich konformen Spielregeln zu unterwerfen, und es gibt gute Gründe, das zu begrüßen.
Was wir normalerweise Regeln nennen, gehört zu den generellen Grenzen. «Es ist wichtig für die Sicherheit und das Wohlergehen von Kindern, dass man ihnen feste Regeln setzt!», sagen manche Erwachsene aus voller Überzeugung. Andere fragen vorsichtiger: «Wie wichtig ist es für Kinder, dass man ihnen Regeln setzt?»
Regeln, das ist ein Sammelbegriff für Routinevorgänge in der Familie, für Traditionen, Aufgaben, Pflichten. Manche Familien haben aus dem einfachen Grund sehr feste Regeln, weil die Eltern viel arbeiten. Andere haben feste Regeln aufgrund ihrer religiösen Überzeugung und wieder andere, weil sie bestimmten pädagogischen Prinzipien huldigen.
In manchen Familien gibt es feste Regeln, weil die Eltern unsicher werden, wenn es zu viele Wahlmöglichkeiten gibt. In anderen gibt es sie, weil die gesellschaftliche Umgebung autoritär ist, und in wieder anderen hätten die Eltern gern feste Regeln anstelle von Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe.
Ich muss gestehen, dass ich nie so recht verstanden habe, was mit dem Ausdruck «feste Regeln» eigentlich gemeint ist. Nach meiner Erfahrung treten gerade diejenigen Eltern besonders nachdrücklich für solche Regeln ein, denen es Mühe macht, die Kinder zu führen, so große Mühe, dass es fast nie gelingt – auch nicht mit festen Regeln.
Diese Eltern haben eines mit den