Einleitung
Wie so viele meiner Generation wusste ich vor fünfundzwanzig bis dreißig Jahren, dass an der Art und Weise, wie unsere Eltern (und die Generationen vor ihnen) über Familie und Kindererziehung dachten, etwas grundlegend falsch war. Dass sich unser konkretes Wissen durchaus in Grenzen hielt, tat unseren Überzeugungen keinen Abbruch.
In den folgenden zehn Jahren, in denen ich mich zum Familientherapeuten ausbilden ließ – während ich mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen sowie mit Gruppen alleinerziehender Mütter arbeitete –, wurde mir allmählich klar, dass meine Ansichten weder besser noch schlechter als diejenigen waren, die sie ersetzen sollten. Denn über einen Mangel an ethischer Substanz konnten auch sie nicht hinwegtäuschen. Vielmehr polarisierten sie durch die unbeirrbare Überzeugung, dass manche Menschen sich richtig verhielten, weil sie die richtigen Ansichten vertraten, während andere sich falsch verhielten, weil ihre Ansichten falsch waren.
Das Feedback, das ich von Kollegen und Klienten bekam, spiegelte diese Polarisierung. Einige waren voll des Lobes, andere kritisierten mich, und in meiner Naivität dachte ich lange, ich sei auf der sicheren Seite, solange die Erstgenannten in der Überzahl waren. Erst sehr spät begriff ich, dass ich auf die anderen hätte hören sollen. Erst als ich meine eigene Unzulänglichkeit als Vater erlebte, wurde mein theoretisches Wissen durch praktische Erfahrung ergänzt.
Bis dahin hatte ich geglaubt, dass die Beziehung zwischen Eltern und Kindern vor allem von Verständnis, Toleranz und demokratischen Spielregeln geprägt sein sollte – im Gegensatz zur moralisierenden, intoleranten und bevormundenden Art der Erziehung, die Kindern das Selbstbewusstsein raubt und ihre Vitalität beeinträchtigt. Doch je besser ich meinen Sohn und die Familien kennenlernte, mit denen ich zusammenarbeitete, desto mehr begriff ich die Oberflächlichkeit meiner Überzeugung. Obwohl sich die Situation der Kinder in Familie und Gesellschaft in vieler Hinsicht verbessert hatte, waren es zwei Probleme, die mich umtrieben.
Als Lehrer und Familientherapeut habe ich erlebt, wie schwierig es für Eltern ist, «auf Augenhöhe» mit einem Psychologen zu kommunizieren. Allzu oft scheinen sie durch die Gespräche an Selbstvertrauen zu verlieren und am Ende orientierungsloser zu sein als vorher. Beim Psychologen löst dies verständlicherweise Gefühle der Hilflosigkeit und Inkompetenz aus, und so klammert er sich gern an eine traditionelle Form der Psychologie, die mehr darauf aus ist, Fehler zu finden, als nach Möglichkeiten zu suchen.
Als Familientherapeut habe ich erlebt, dass Kinder und Jugendliche stets den Preis dafür bezahlen. Auch wenn das pädagogische Verständnis der Erwachsenen differenzierter, ihre Erziehung weniger besserwisserisch und die öffentliche Moral weniger restriktiv ist als früher, so wird den Kindern auch weiterhin eine Verantwortung aufgebürdet, die nur wenige Eltern, Politiker, Pädagogen, Lehrer und Therapeuten zu tragen bereit sind. Dies geschieht nicht aus bösem Willen – oft genug stecken nur die besten Absichten dahinter –, ist aber eine logische Konsequenz unser grundlegenden Fehleinschätzung, was das Wesen der Kinder betrifft.
Die schwedische Psychologin Margareta Brodén hat dies in einem schlichten Satz zum Ausdruck gebracht, der mich zum Titel dieses Buches angeregt hat: «Vielleicht haben wir uns geirrt – vielleicht sind Kinder kompetent» (Margareta Brodén, Mor og barn i Ingenmandsland, København 1992, dt. «Mutter und Kind im Niemandsland»).
Brodéns Formulierung ist teils dem wissenschaftlichen Kontext geschuldet, in dem sie