: Alexandre Dumas der Jüngere
: Die Kameliendame Roman
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104018805
: Fischer Klassik Plus
: 1
: CHF 3.00
:
: Hauptwerk vor 1945
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Paris im 19. Jahrhundert, rauschende Feste, Opernbesuche, Bonbons und Champagner: Hier verliebt sich der noble Bourgeois Armand Duval in die Kurtisane Marguerite Gautier. Sie gibt für ihn ihr freizügiges Leben auf. Doch Armands Vater überzeugt sie von der Unsittlichkeit ihrer Verbindung und dem Schaden, den sie ihm und seiner Familie zufügt. Aus Liebe trennt sie sich daraufhin und kehrt in ihr altes Milieu zurück. Armand verlässt schmerzgetrieben Paris und sieht seine Marguerite nicht mehr lebend wieder. Dieser bewegende Roman wurde sofort nach seinem Erscheinen 1848 zum Bestseller. Dumas' eigene Umarbeitung zum Theaterstück und Verdis Vertonung in der Oper ?La Traviata? haben die Geschichte unsterblich gemacht.

Alexandre Dumas der Jüngere (1824-1895) war der Sohn des Autors von ?Die drei Musketiere? und einer Näherin. Als Verfasser zahlreicher Milieuromane und -dramen, die ein ungeschöntes Bild der Pariser Gesellschaft entwarfen, führte er einen neuen, dem Realismus verpflichteten Ton in die französische Literatur ein. Mit seinem Roman ?Die Kameliendame? (1848) und dessen Bühnenfassung (1852) konnte Dumas, den Zensurbehörden zum Trotz, weltweit Erfolge feiern.

I.


Ich bin der Meinung, daß man Gestalten nur schaffen kann, wenn man die Menschen lange ergründet hat, ebenso wie man eine Sprache nur unter der Bedingung beherrscht, daß man sie ernsthaft erlernte.

Da ich noch nicht in dem Alter stehe, in dem man erfindet, begnüge ich mich damit, einfach zu erzählen. Ich bitte also den Leser, von der Wirklichkeit dieser Geschichte überzeugt zu sein: alle ihre Personen, mit Ausnahme der Heldin selbst, sind noch am Leben.

Außerdem gibt es in Paris Gewährsleute für die Mehrzahl der Vorkommnisse, die ich hier zusammenstelle: sollte meine eigene Aussage nicht genügen, so könnten sie alles bestätigen. Ein besonderer Umstand hat bewirkt, daß ich allein die Tatsachen niederschreiben konnte, denn ich allein war Zeuge der letzten Einzelheiten, ohne die es unmöglich gewesen wäre, einen vollgültigen Bericht zu geben.

Ich will nun erzählen, wie diese Einzelheiten zu meiner Kenntnis gelangt sind. Am 12. März 1847 las ich in der Rue Lafitte ein großes, gelbes Plakat, das eine Versteigerung von Möbeln und zahlreichen Luxusgegenständen ankündigte. Es war eine sogenannte Versteigerung infolge Todesfalls. Das Plakat erwähnte nicht den verstorbenen Eigentümer, wohl aber, daß der Verkauf in Nr. 9 der Rue d’Antin am 16. von zwölf bis fünf Uhr stattfinden werde. Außerdem wurde die Angabe gemacht, daß man am 13. und 14. Wohnung und Möbel besichtigen konnte.

Ich bin immer ein Liebhaber dieser reizvollen Dinge gewesen. Ich nahm mir vor, die Gelegenheit nicht zu versäumen und, wenn ich auch nichts kaufen sollte, doch wenigstens alles anzusehn.

Am nächsten Tag begab ich mich in die Rue d’Antin Nr. 9.

Es war noch früh, gleichwohl bewegten sich schon einige Besucher durch die Wohnung – auch Besucherinnen, welch letztere, obwohl sie in Samt gekleidet waren, Kaschmirschals trugen und vor der Tür von ihren eleganten Kupees erwartet wurden, doch voll Staunen, ja sogar voll Bewunderung den Luxus betrachteten, der sich vor ihren Augen ausbreitete.

Ich verstand bald Bewunderung und Erstaunen, denn sobald ich selbst mit der Prüfung begonnen hatte, erkannte ich ohne weiteres, daß ich mich in der Wohnung einer ausgehaltenen Frau befand, und wenn es etwas gibt, das die Damen von Welt zu sehen wünschen, und es waren Damen der Welt da, so ist es das Interieur solcher Mädchen, deren Kutschen täglich ihre eignen streifen und bespritzen, die wie sie selbst und Seite an Seite mit ihnen ihre Loge in der Großen und in der Italienischen Oper haben und, in Paris wenigstens, durch ihre Schönheit, ihre Diamanten und ihre Skandale die Aufmerksamkeit aller herausfordern.

Die Frau, bei der ich mich befand, war tot: nichts hinderte darum selbst die tugendhaftesten Damen, bis in ihr Schlafzimmer vorzudringen. Der Tod hatte die Luft eines Raumes gereinigt, der vielleicht nur eine glänzende Kloake gewesen war, und im übrigen konnten die Damen sich im Notfall immer damit entschuldigen, daß sie zu einer Versteigerung kamen, ohne zu wissen, bei wem sie sich eigentlich aufhielten. Sie hatten Plakate gelesen, sie konnten einfach das besichtigen, was diese Plakate versprachen, und ihre Wahl im voraus treffen wollen – nichts war einfacher. Das hielt sie nicht ab, inmitten so vieler Kostbarkeiten den Spuren eines Kurtisanenlebens nachzugehen, von dem man ihnen ohne Zweifel die merkwürdigsten Dinge erzählt hatte.

Leider waren die Geheimnisse mit der Nymphe gestorben, und trotz allen guten Willens kamen die Damen nicht auf ihre Kosten: sie sahen nur das, was nach dem Todesfall zum Verkauf bestimmt, aber nichts von dem, was zu Lebzeiten der