Umkämpfte Erinnerungen Die Bedeutung lateinamerikanischer Erfahrungen für die spanische Geschichtspolitik nach Franco
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Nina Elsemann
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Umkämpfte Erinnerungen Die Bedeutung lateinamerikanischer Erfahrungen für die spanische Geschichtspolitik nach Franco
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Campus Verlag
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9783593412405
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Globalgeschichte
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1
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CHF 38.10
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Zeitgeschichte (1945 bis 1989)
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German
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372
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Wasserzeichen/DRM
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PC/MAC/eReader/Tablet
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PDF
Spanien galt lange als Modell für einen friedlichen Übergang von der Diktatur zur Demokratie. Doch erst die Ermittlungen der spanischen Justiz gegen das »Verschwindenlassen« in Argentinien und Chile führten zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Im Mittelpunkt standen dabei die »Verschwundenen« des Bürgerkriegs und der franquistischen Repression. Nina Elsemann stellt dar, welche geschichtspolitischen Diskurse und Erfahrungen in Spanien insbesondere aus Argentinien übernommen wurden. Damit präsentiert sie den Wandel des öffentlichen Umgangs mit der Vergangenheit als Folge globaler Dynamiken und Verflechtungen. Ausgezeichnet mit dem Ernst-Reuter-Preis der FU Berlin 2011 und dem Friedrich-Meinecke-Preis 2011.
6 Die Neuverhandlung der Vergangenheit in Spanien (2000–2008)
(S. 250-251)
Die von den Erinnerungsaktivisten um Emilio Silva initiierte Debatteüber die spanischen desaparecidos und die Ausgrabung der Bürgerkriegsgräber haben in den zurückliegenden Jahren das Thema der franquistischen Repression auf die politische Agenda gesetzt und eine grundlegende Neuverhandlung der Vergangenheit ausgelöst.
Während die Transition die Vergangenheit noch sinnbildlich begraben wollte, wird dieser Prozess seit 2000 umgekehrt und die verdrängte Geschichte der franquistischen Repression buchstäblich ausgegraben. Wie die vergangenen Jahre verdeutlicht haben, ist es der Erinnerungsbewegung dank der emotionalen Kraft und massenmedialen Wirkung der Ausgrabungen gelungen, eineöffentliche Debatteüber die Bürgerkriegs- und Diktaturvergangenheit sowie die transición zu initiieren.
Diese Debatte hat in den letzten Jahren zu einer Pluralisierung der historischen Narrative geführt und wird zusammen mit der sich daraus ergebenden Sensibilisierung der spanischen Gesellschaft für die Problematik der Bürgerkriegsgräber und die Versäumnisse im Umgang mit der Vergangenheit von Silva zu Recht als entscheidender Erfolg der ARMH betrachtet.1
6.1 Die Gegenwart der Vergangenheit: Kontroverse Begriffe und Geschichtsdeutungen
Die in den letzten Jahren erfolgteöffentliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in den spanischen Medien unterscheidet sich in mehreren Aspekten deutlich von früheren Debatten. Neben der neuen Qualität und Quantität seit dem Jahr 2000 lassen vor allem neue Akteure diesen Unterschied erkennbar werden: Die Debatte, die in den neunziger Jahren noch in erster Linie in der Wissenschaft und der Politik geführt wurde, entwickelte sich seit 2000 immer mehr zu einem gesellschaftlichen Anliegen.
Dies führte dazu, dass in den Meinungsartikeln im Unterschied zur vorherigen Debatte, bei der es in erster Linie um die Geschichte und ihre politische Instrumentalisierung gegangen war, nun verstärkt der Begriff der Erinnerung formuliert wurde.2 Im Folgenden wird dieser Wandel in deröffentlichen Debatte, der sich auch anhand neuer Begriffe und Vergangenheitsdeutungen ausdrückte, veranschaulicht. Als Antwort auf die Revision der Vergangenheit durch die Erinnerungsbewegung und neuere geschichtswissenschaftliche Untersuchungen kam es in den letzten Jahren zugleich zu einem neuen Revisionismus, der bis heute versucht, die alten franquistischen Geschichtsmythen wiederaufleben zu lassen.
Angesichts der Konjunktur der runden Jahrestage zwischen 2000 und 2006 wird ein besonderes Augenmerk auf die symbolträchtigen Jahres- und Gedenktage gelegt, da diese die Dynamisierung der Debatteüber die Vergangenheit und die Deutungskämpfe um bestimmte Daten und ihre Interpretationüberzeugend aufzeigen.
Inhalt
6
Vorwort
8
1 Einleitung
10
2 Das Verschwindenlassen und die Konstruktion der desaparecidos im Kontext globaler Transfers
36
2.1 Die »Erfindung« des Verschwindenlassens im 20. Jahrhundert
37
2.2 Die Politik des Verschwindenlassens in Lateinamerika
47
2.3 Der diskursive Kampf um die desaparecidos: Von Lateinamerika zur internationalen Menschenrechtsnorm
66
3 Transnationale Aufarbeitung der Vergangenheit: Globale Normen und lokale Wirkung
90
3.1 Neue Wege der Aufarbeitung
91
3.2 Der »Fall Pinochet«
108
3.3 Die Debatte über Pinochet in Spanien: Diskursive Transfers und historische Parallelen
121
3.4 Der »Pinochet-Effekt«
141
4 Spanien nach dem »Fall Pinochet«: Der Wandel im öffentlichen Umgang mit der Vergangenheit (1975–2000)
145
4.1 Das Modell der spanischen transición: »Niemals wieder« Bürgerkrieg
146
4.2 Die Rückkehr der Vergangenheit: Erste Risse im Erinnerungskonsens der transición
168
4.3 Das Ende des Schweigens: Die Wiederentdeckung der spanischen desaparecidos
184
5 Argentinien als Modell: Die spanische Erinnerungspraxis und ihre zentralen Akteure
200
5.1 Die spanischen desaparecidos und die Wirkungsmacht internationaler Menschenrechtsnormen
201
5.2 Das Ausgraben der Geschichte: Lokale Erinnerungen und transnationale Erinnerungspraxis
225
6 Die Neuverhandlung der Vergangenheit in Spanien (2000–2008)
251
6.1 Die Gegenwart der Vergangenheit: Kontroverse Begriffe und Geschichtsdeutungen
251
6.2 Politik mit der Vergangenheit: Zwischen Blockade und Institutionalisierung der Erinnerung
286
7 Schlussbetrachtung: »Argentinisierung« der Aufarbeitung?
318
Abkürzungsverzeichnis
332
Quellen
335
Literatur
339
Personenregister
371