Am Wendepunkt
Am tiefsten Punkt des Lebens geschieht meist ein Wunder.
Es gibt Momente im Leben, an denen es scheinbar nicht mehr weitergeht. Einen solchen Punkt hatte ich erreicht, als ich37 Jahre alt war.
Mein Vater lag im Koma. Ein Autounfall hatte ihn völlig überraschend aus dem Leben gerissen. Ohne mich von ihm verabschiedet, ohne ein klärendes Gespräch zwischen Vater und Sohn geführt zu haben, gab es nun keine Möglichkeit mehr für all die Worte, für all die Besuche und Anrufe, die ich viel zu selten getätigt hatte, für das Aussöhnen und für all die Dinge, die ich mir für irgendeine ferne Zukunft aufgespart hatte. So viel hätte es noch zu sagen gegeben, so viele Gedanken auszutauschen, aber der plötzliche Tod meines Vaters schlug eine tiefe Schneise in mein Leben. Und diese Schneise war durch nichts mehr rückgängig zu machen.
Erst zwei Tage nach dem Unfall konnte ich von den Dreharbeiten zu meinem sterbenden Vater ins Krankenhaus eilen, wo er, an viele Schläuche angeschlossen, im Koma lag. Es wäre ein Wunder, sagten die Ärzte, dass sein Herz noch immer schlug. Die inneren Verletzungen waren so gewaltig, dass man nicht verstand, was seinen Körper noch am Leben hielt.
Ich jedoch wusste es. Ohne jemals wieder aus seinem Koma zu erwachen, schien es ganz so, als hätte er auf mich gewartet, um mir wenigstens noch diese Art von Abschied zu ermöglichen.
Nie zuvor habe ich die Liebe zu meinem Vater stärker gespürt als in jener Nacht. Ich sprach mit ihm. Ich war überzeugt, dass er mich hören würde. Ich sagte ihm alles, was ich bisher verschwiegen hatte. Ich söhnte mich mit ihm aus, schuf Frieden zwischen uns und spürte eine seltsam tiefe Liebe, die uns in diesem Moment stärker miteinander verband als jemals zuvor. Erst in jener Nacht fiel mir auf, wie achtlos und selbstverständlich ich mit der Anwesenheit des Menschen, den ich so sehr liebte, umgegangen war.
Aber nun war es zu spät. Mein Vater lag im Sterben, und nichts konnte ihn wieder zurückbringen. Ich musste ihn gehen lassen. Noch in dieser Nacht. Drei Stunden nach meinem Eintreffen gab sein Körper schließlich auf, und der regelmäßige Piepston auf dem grünlichen Monitor wandelte sich in einen lang anhaltenden Strich, als das Herz meines Vaters zu schlagen aufhörte.
Die Schläuche wurden entfernt, sein lebloser Körper auf eine Rollbahre gehoben, ein weißes Tuch über ihn gelegt, und dann schoben zwei Männer ihn aus dem Raum. Ich hatte meinen Vater zum letzten Mal gesehen.
Einige Wochen später – ich stand noch völlig unter Schock – verließ mich meine damalige Lebenspartnerin. Sie hatte, für mich völlig unerwartet und überraschend, einen Liebhaber, mit dem sie nun Tag und Nacht verbrachte. Als ich um sie kämpfen wollte, erzählte sie mir ganz unverblümt, wie wundervoll ihr neuer Liebhaber im Bett sei, was für einen tollen Körper er habe, wie gut er aussehen würde und wie charmant und aufmerksam er im Gegensatz zu mir sei.
Am tiefsten Punkt meines Lebens angelangt, saß ich plötzlich völlig allein in einer viel zu großen, leer geräumten Wohnung. Und als wäre diese Niederlage nicht genug, traf mich nun auch noch die Kehrseite des Ruhmes. Die Boulevardpresse verhöhnte mich und stempelte mich als Störenfried ab, der das neue Glück seiner Exfreundin behinderte. Es erschienen Fotos von mir, die zum Image des unglücklichen Bösewichts passten, während das neue Paar verliebt und händchenhaltend in allen Zeitungen seine Liebe demonstrierte.
Ich wagte mich nicht mehr aus dem Haus und fühlte mich gebrandmarkt. Jeder wusste von meinem Leid. Der Bäcker, die Nachbarn, der Schaffner, die grinsenden Leute auf der Straße. Einsam und verlassen, ohne zu verstehen, warum gerade mir das alles passierte, schlief ich kaum noch, aß nichts mehr und wollte von niemandem mehr etwas wissen. Über Nacht war mein Leben zu einem einzigen Trümmerhaufen geworden. Mein Vater war gerade erst beerdigt worden, die Scheidung meiner ersten Ehe in vollem Gange, und nun hatte sich auch noch meine Partnerin, mit der ich fünf Jahre zusammen gewesen war, am tiefsten Punkt meines Lebens völlig unvermit