HEUTE IN BERLIN GEBOREN
Das Wasser spritzt in alle Richtungen, es sprudelt nur so aus der Duscharmatur an der Wand. Aus der Brause kommt allerdings kein Tropfen. Ich muss aber duschen! Mir wird flau im Magen vom starken Lilienduft und den Gedanken an den Tag, der vor mir liegt. Zehn riesige, rosafarbene Lilien stehen in einer Vase vor der Dusche, neben der Toilette, unter dem Waschbecken. Für vier Quadratmeter eindeutig zu viele, schon im Krankenzimmer konnte ich den sonst so geliebten Duft nicht ertragen. Unzählige Liter Berliner Wasser laufen ungenutzt in den Abfluss, während ich, ungeduscht und von Lilien betäubt, überlege, wie ich mich am elegantesten durch die engen Schiebetüren der winzigen Kabine zwänge, um irgendwo anders in der großen Klinik noch eine andere Dusche zu finden. In einer Stunde bekomme ich nämlich Zwillinge.
»Micha!! Die Dusche ist kaputt, irgendwas ist geplatzt, kannst du im Schwesternzimmer mal fragen, wo ich noch duschen kann?« Zum Glück ist mein Mann schon da. Um halb sieben stand er in der Tür, ein bisschen blass um die Nase. Verständlich, schließlich wird er heute zum ersten Mal Vater. Ich habe eigentlich ganz gut geschlafen in Anbetracht der Tatsache, dass ich einen Mega-Bauch, eine abklingende Bronchitis und einen Kaiserschnitttermin habe.
So beschrieb ich meinem Tagebuch meine Gefühle vor zwölf Stunden: »Morgen werde ichMutter! In zwölf Stunden holt mich meine Hebamme Monika ab, um mich zum OP zu bringen, dann folgt die PDA und um acht Uhr der Kaiserschnitt. Vom Professor persönlich durchgeführt. Ich kann’s nicht glauben, nichts dagegen unternehmen, würde meinen Puls gern wissen, sicherlich hoch, mein Kopf ist jedenfalls rot und mein Herz schlägt schnell. Wie dem Wolf bei ›Rotkäppchen‹ schneiden sie mir morgen den Bauch auf, um meine kleinen Muckel rauszureißen! Ich würde sie noch gern in mir behalten. Was kaum einer verstehen kann. ›Wieso, willst du sie denn nicht sehen? Es nimmt sie dir doch keiner weg!‹, höre ich immer wieder. Doch! Das Leben. Mit großer Wahrscheinlichkeit werde ich nie wieder Wesen in mir haben, die sich bewegen, Schluckauf haben, schlafen, treten, sich strecken, zuhören, Purzelbäume schlagen, immer ganz nah bei mir sind. Gerade blubbert es in meinen Lenden, als würden kleine Mäuschen hin und her laufen. Jetzt ist ein kleiner Delfin dort, wo eigentlich mein Magen sein müsste, aufgetaucht, um mich kurz zu kitzeln, eine Welle zu hinterlassen und wieder im Bauchozean unterzutauchen. Und das soll morgen alles vorbei sein? Natürlich bin ich wahnsinnig gespannt, wie unsere Kinder aussehen, welchen Charakter sie haben. Ich hoffe so sehr, dass sie gesund sind, niedlich, hübsch, wohlgewachsen, na eben alles, was Eltern sich erhoffen. Dennoch, gerne hätte ich gehabt, dass sie von selbst