I
Marie Kröger stampfte wütend mit dem Fuß auf, dass der zerkratzte Parkettboden, dem die Jahre all seinen Glanz genommen hatten, unter ihr vibrierte.
»Aber ich will Tänzerin werden. Und wenn Sie immer wieder mit den Grundschritten anfangen, nur weil ein neues Mädchen in die Gruppe kommt, dann schaffe ich es nie!«
»Willst du dich wohl mäßigen, Marie!« Fräulein Mühsam, die Ballettmeisterin und Schwester des Lübecker Apothekers, der in derselben Straße wohnte wie die Krögers, blickte streng auf Marie hinunter. Ihre kurz geschnittenen Haare klebten an ihrem Kopf, als wären sie mit Leim eingestrichen. Überhaupt, der Kopf! Irgendwie sah er aus, als wäre er zu klein geraten. Wie ein Streichholzköpfchen saß er auf einem viel zu langen dünnen Körper. Die dürren Arme verschränkte Fräulein Mühsam nun, und sie kniff die Augen zusammen. »Nur weil ein neues Mädchen in die Gruppe gekommen ist? Dann glaubst du wohl, du bist etwas Besseres als dieses Mädchen.«
Marie wollte protestieren, doch die Lehrerin fuhr bereits mit ihrer Strafpredigt fort: »Greta hat wie alle anderen hier das Recht, den Balletttanz von Grund auf zu studieren. Alle Elevinnen sind in meiner Stunde, um Anmut, Grazie und die Kunst des Tanzens zu erlernen.«
»Das will ich doch auch«, fiel Marie ihr eifrig ins Wort.
»Willst du mich wohl nicht unterbrechen«, wies Fräulein Mühsam sie zurecht. Sie begann in dem großen Zimmer, das bis auf ein Klavier und drei Hocker vollkommen leer war, auf und ab zu gehen. Der Rock ihres schlichten grauen Leinenkleides raschelte leise. »Du hast nicht die nötige Disziplin, um jemals Tänzerin zu werden. Du sehnst dich auf unanständige Weise nach Ruhm, aber du bist nicht bereit, dafür hart zu arbeiten.«
»Doch«, brach es aus Marie heraus. »Ich will ja dafür arbeiten. Nichts würde ich lieber tun, aber in Ihren Stunden geht es einfach nicht vorwärts.«
Die übrigen Schülerinnen, die bisher schweigend mit großen Augen und offenen Mündern den Disput verfolgt hatten, hielten es nicht mehr länger aus und begannen eifrig miteinander zu tuscheln. Die eine flüsterte der anderen etwas ins Ohr, die Nächste machte wieder einer anderen Zeichen. Man hörte das Knistern der weißen Ballettröcke. Die Lippen der Lehrerin verzogen sich zu einem eisigen spöttischen Lächeln.
»Wenn du glaubst, du kannst es mit einer anderen Lehrmeisterin zur Primaballerina bringen, dann sieh dich ruhig nach einer um. Nur zu, hier bist du nicht mehr willkommen!« Der letzte Satz fuhr wie ein Schwert durch die Luft. Das Tuscheln der Mädchen und das Rascheln der Röcke brachen schlagartig ab. Marie spürte, wie sich ein dicker Kloß in ihrem Hals bildete. Nein, sie würde nicht weinen. Nicht vor dieser blöden Mühsam und nicht vor den anderen dummen Gänsen.
Sie schluckte einmal und sagte dann laut, damit ihre Stimme nicht brüchig klang: »Das werde ich auch. Meine Eltern wollten mir schon lange eine bessere Ballettmeisterin suchen. Ich wollte es nicht. Aus Treue und Zuneigung zu Ihnen. Aber es scheint nun wohl das Beste zu sein.« Sie drehte sich auf dem Absatz um, dass ihre dicken Zöpfe nur so flogen, und verschwand mit stolz gerecktem Kinn aufrechten Schrittes in den dunklen Flur und von dort in das Nebenzimmer, wo die Schülerinnen ihre Straßenkleider während der Stunde aufbewahrten.
Marie freute sich diebisch über ihren Triumph. Nun gut, sie hatte etwas übertrieben, um nicht zu sagen gelogen. In Wahrheit lag sie ihr