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Ich will eine Geschichte erzählen. Eine einfache Geschichte. Sie können sie auch ungeheuerlich nennen. Doch das ändert nichts an ihrer Einfachheit. Ich möchte also eine einfache und ungeheuerliche Geschichte erzählen.
Ich bin Martens. Ja, ebender Antonio Rojaz Martens, der gegenwärtig vor den Richtern des neuen Systems steht: vor den Volksrichtern – wie sie sich gern nennen. Sie können zur Zeit mehr als genug über mich lesen: Die reißerischen Boulevardblätter sorgen dafür, daß mein Name in ganz Lateinamerika bekannt wird, ja vielleicht sogar drüben, im weit entfernten Europa.
Ich muß mich beeilen, wahrscheinlich ist meine Zeit knapp. Es geht um die Salinas-Akte: um Federigo und Enrique Salinas, Vater und Sohn, Eigentümer der im ganzen Land bekannten Kaufhauskette, deren Tod die Leute damals so überraschte. Dabei war man damals nicht mehr so leicht zu überraschen. Doch kein Mensch hätte Salinas für einen Verräter gehalten, der seinen Namen für den Widerstand hergibt. Der Oberst hat dann später auch bereut, ein Kommuniqué über die Hinrichtung herausgegeben zu haben: Es hat ohne Zweifel eine starke moralische Wirkung hervorgerufen, eine viel zu starke und völlig überflüssige. Doch wenn wir kein Kommuniqué herausgegeben hätten, hätte man uns Vernebelung und Gesetzesbruch vorgeworfen. So oder so, in dieser Sache konnte man nur falsch handeln. Der Oberst hatte das übrigens bereits vorausgesehen. Ehrlich gesagt, ich auch. Aber welchen Einfluß hätte schon die Überzeugung eines Ermittlungsbeamten auf den Lauf der Dinge haben können?
Damals war ich noch neu beim Corps. Ich war von der Polizei herübergekommen. Nicht von der Politischen – die war schon längst dort –, sondern von der Kripo. «Du, Martens», sagt eines Tages mein Chef zu mir, «hast du nicht Lust, hinüberzugehen?» Ich frage: «Wohin?», denn ich bin ja schließlich Polizist und kein Gedankenleser. Er deutet mit dem Kopf zur Seite. «Hinüber», sagt er, «zum Corps.» Ich sagte weder ja noch nein. Man war bei der Kripo gut dran. Allerdings hatte ich die Nase schon ein bißchen voll von Mördern, Einbrechern und ihren Nutten. Damals wehte ein neuer Wind. Ich hörte von manchem Aufstieg. Es hieß, wer sich bemüht, habe Zukunft. «Das Corps fordert Leute an», fuhr mein Chef fort. «Ich habe nachgedacht, wen ich empfehlen könnte. Du, Martens, bist ein fähiger Mann. Und dort kannst du dich rascher profilieren», fügte er hinzu.
Tja, so ungefähr hatte ich mir die Sache auch vorgestellt.
Ich absolvierte den Lehrgang, und man wusch mir das Gehirn. Aber nicht genug, bei weitem nicht genug. Es blieb noch eine Menge drin, viel mehr, als ich gebrauchen konnte – doch sie hatten es eben verdammt eilig. Damals war alles eilig. Es hieß, Ordnung zu schaffen, die Konsolidierung voranzubringen, das Vaterland zu retten, den Widerstand zu liquidieren – und es sah aus, als läge das alles auf unseren Schultern. «Das kommt alles mit der Praxis», wurde immer wieder gesagt, wenn einem etwas Kopfschmerzen machte. Hol mich der Teufel, wenn ich da auch nur irgend etwas gelernt habe. Doch der Job interessierte mich. Und noch mehr die Bezahlung.
Ich kam in die Gruppe von Diaz (dem Diaz, nach dem jetzt vergeblich gefahndet wird). Wir waren zu dritt: Diaz, der Chef (ich kann jedem versichern, daß man ihn niemals finden wird), Rodriguez (der bereits zum Tode verurteilt worden ist: nur zu einem einzigen, dabei hätte der Lump hundert Tode verdient) und ich, der Neue. Und natürlich Hilfspersonal, Geld, weitreichende Befugnisse und eine unbegrenzte Technik, über die ein einfacher Bulle nicht einmal etwas zu lesen gewagt hätte, um sich nicht zu weit in sie einzuleben.
Und dann ging bald der Fall Salinas los. Allzufrüh, verdammt früh. Gerade zu der Zeit meiner stärk