: Eduard von Keyserling
: Am Südhang Erzählung
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104016047
: Fischer Klassik Plus
: 1
: CHF 2,00
:
: Hauptwerk vor 1945
: German
: 80
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Autoren. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. »Keyserling versteht einen Sommerabend so zu beschreiben, dass man während seines Glühens und Verdämmerns das Gefühl des ganzen Lebens hat.« - Was Hermann Hesse über Keyserlings Prosa schreibt, gilt für die beiden hier versammelten Texte in besonderem Maße, die wahre Meisterwerke atmosphärischer Naturbeschreibungen sind. Zugleich aber sind diese Texte - und das macht sie so beunruhigend modern - auch Meisterwerke einer sprachkritischen Ironie, die sich gegen unsere hohlen Sommerklischees richtet.

Eduard Graf von Kayserling wurde am 18.5.1855 geboren und stammte aus einer alteingesessenen baltischen Adelsfamilie.Er begann, Jura, Philosophie und Kunstgeschichte zu studieren, doch wurde aufgrund einer angeblichen Unkorrektheit vom Studium ausgeschlossen und von der Gesellschaft geächtet.Von ihm stammen neben den Novellensammlungen Schwüle Tage und Bunte Herzen auch Romane wie Fräulein Rosa Herz und Wellen sowie das Drama Die schwarze Flasche.Kayserling starb am 28.9.1918 in München.

Am Südhang


Karl Erdmann von West-Wallbaum war Leutnant geworden, und während er durch den Sommerabend dem elterlichen Landhause zufuhr, sagte er sich, daß all die klugen, hochmütigen Leute, welche schlecht vom Leben sprachen, ja daß seine eigenen weltschmerzlichen Stunden dem Leben unrecht taten. Es gab wirklich ganz einwandfreie Lebenslagen. Und mit wie geringen Mitteln baute das Leben oft solch ein Glück auf. Wie viele junge Leute wurden jedes Jahr Leutnant, und mit dem Leutnant war schließlich auch noch nicht allzuviel erreicht. Dennoch, und es war vielleicht lächerlich, aber dieser Leutnant machte ihn glücklich. Er hatte das Gefühl, als sei etwas Neues in ihm; das ihn zu einem andern machte, zu einem, der mehr Recht auf Liebe, Bewunderung und alles Gute der Welt hatte als der frühere Karl Erdmann. Das würden sie dort zu Hause wohl verstehen. Das war es ja, was das Leben zu Hause so weich und verwöhnend machte, daß man sich so mühelos einander verstand. Menschen, die einander leicht verstehen, wissen, daß sie einander leicht verwunden können. Daher kam vielleicht in das Leben dort zu Hause die köstliche Behutsamkeit des Umgangs, die Karl Erdmann stets die Empfindung gab, als sei er etwas sehr Kostbares, das zart angefaßt werden mußte. Nun lagen zwei Monate in dem Elternhause vor ihm, zwei ganz sorglose Monate, denn die Schulden hatte er schon gebeichtet. Er würde nichts anderes zu tun haben, als im alten Garten umherschlendern, auf den Wiesen liegen, von seiner Mutter und seinen Schwestern sich verwöhnen lassen, des Vaters gute Zigarren rauchen und ungestört dieses süße Gefühlvolle in sich gewähren lassen, wie es nur in den alten elterlichen Landhäusern gedieh. Seltsam war es, wie sich dort jedes kleine Ereignis mit einer Gefühlsatmosphäre umgab, die es groß und farbig erscheinen ließ wie der durch Abenddünste aufsteigende Mond. Karl Erdmann war häufig schon verliebt gewesen, als Kadett und als Fähnrich. Und draußen in der Garnison hatte manche Liebesaffäre gespielt. Allein das war ganz etwas anderes, als zu Hause in den Ferien verliebt zu sein. Da war es eine stille, stetige und erregende Beschäftigung. Man lag stundenlang im Grase und war verliebt, ließ sich von einem starken, süßen, ein wenig erschlaffenden Gefühle wiegen. Draußen konnte Karl Erdmann zynisch und schneidig sein, hier wurde er empfindlich und feinschalig wie eine Frucht, die auf dem Südhange gereift ist. Karl Erdmann war also in den Ferien immer verliebt gewesen, und zwar immer in Frau von Bardow. Das gehörte zu den Ferien wie das Glitzern des Weihnachtsschnees oder wie die gelben Augustbirnen. Eigentlich waren alle zu Hause in Frau von Bardow verliebt, selbst der Vater holte, wenn er mit ihr sprach, seine alten ritterlichen Gardedukorpsmanieren hervor, und Frau von Bardow schien das zu wollen. Sie sprach mit allen diesen Männern so, als wünschte sie, ihnen den Kopf zu verdrehen, oder als bestände zwischen einem jeden von ihnen und ihr ein einzigartiges Verhältnis. So war es mit Botho, dem Hauptmann, Karl Erdmanns älterem Bruder, so mit dem Legationsrat Grafen Ottomar von der Lynck, dem Verlobten von Karl Erdmanns Schwester Oda; ja sogar mit dem fünfzehnjährigen Leo und seinem Hauslehrer Herrn Aristides Dorn hatte Frau von Bardow eine besondere erregende Art zu verkehren. Nur mit ihm, Karl Erdmann, hatte sie stets eine schwesterliche, fast mütterliche Art des Verkehrs gehabt. Und doch hatte er schon als Knabe den Zauber dieser seltsamen, schönen Frau stärker als alle andern empfunden, so stark, daß er oft wehrlos gegen das eigene Gefühl auf die Wiese hinausrannte, sich auf einen Heuhaufen warf, das G