1. KAPITEL
Anna kam gerade erschöpft und durchgefroren nach Hause und freute sich darauf, früh ins Bett zu gehen, als es an der Tür klingelte. Seufzend nahm sie den Hörer der Sprechanlage ab.
„Hier ist Ryder Wyndham.“
Annas Augen begannen zu glänzen. „Ryder? Das ist ja eine Überraschung! Komm rein!“ Sie ließ ihn ins Haus und wartete an der offenen Wohnungstür. Als der neue Erbe vonWyndham Manor aus dem Fahrstuhl trat, spürte sie tiefes Mitgefühl, denn sein Gesicht war aschfahl, was durch die kurz geschnittenen schwarzen Locken noch betont wurde. Außerdem wirkte er mit seinem eleganten Anzug, dem schwarzen Schlips und dem langen dunklen Mantel noch schmaler als sonst.
„Bitte komm rein“, begrüßte sie ihn lächelnd.
Ryder ging an ihr vorbei und sah sich um. „Bist du allein?“, fragte er.
Anna wunderte sich über sein kühles Auftreten. „Ja. Wie geht es dir, Ryder?“
„Es ging mir schon besser.“
„Edwards Tod muss ein furchtbarer Schock für dich gewesen sein.“ Sie nickte ernst. „Kann ich dir vielleicht etwas zu trinken anbieten?“
Doch ihr Besucher lehnte ihr Angebot ab und musterte sie dann von Kopf bis Fuß mit einem Blick, der Alarmglocken inihrem Kopf schrillen ließ.
„Ich muss zugeben, ich kann ihn verstehen“, sagte er zu ihrer Verwunderung.
„Wen?“, wollte sie wissen.
Ryder schaute sie feindselig an. „Du siehst zwar nicht so aus, aber nach meiner Berechnung musst du mindestens dreiunddreißig sein.“
Anna runzelte verwirrt die Stirn. „Bist du etwa hergekommen, um mit mir über mein Alter zu sprechen?“
„Nein, sondern um dich aufzufordern, meinen Bruder in Ruhe zu lassen“, fuhr er sie an.
„Meinst du Dominic?“, fragte sie fassungslos.
„Natürlich, wen denn sonst? Eddy ist schließlich tot.“
Anna atmete tief ein. „Du bist offenbar sehr angespannt, Ryder. Am besten ziehst du erst mal deinen Mantel aus, während ich dir einen Drink hole.“
„Ich will keinen Drink – ich will wissen, was du im Schilde führst!“
Anna hob das Kinn. „Ich fürchte, das musstdu mir erklären.“
„Keine Angst, das werde ich.“ Kalt sah Ryder sie an. „Nachdem Dominic bei dir gewesen war, um dir die Nachricht von Eddys Tod zu überbringen, hat er nur noch von dir geredet: wie hübsch und sexy du bist und wie nett du dich ihm gegenüber verhalten hast. Er ist mehrmals nach London gefahren, bevor er nach New York zurückkehrte …“
„Und du denkst, dass er meinetwegen in London war?“, fragte Anna ungläubig.
„Dominic hat behauptet, er würde hier Freunde besuchen. Aber es ist doch offensichtlich, dass er in Wirklichkeit dich besucht hat. Ich war zu sehr mit meinen Problemen beschäftigt, um gleich zu merken, worauf das alles hinausläuft.“ Angewidert verzog er den Mund. „Es liegt doch auf der Hand, warum eine Frau deines Alters einen zehn Jahre jüngeren Mann heiraten möchte.“
„Wegen des tollen Sex?“ Vor Wut hätte Anna ihn am liebsten geohrfeigt.
„In diesem Fall wegen des Geldes.“ Voller Verachtung blickte er sie an. „Und als Dominic dir erzählte, was für eine nette kleine Erbschaft ihm unsere Tante hinterlassen hat, hast du deinen aktuellen Lebensabschnittsgefährten zum Teufel gejagt und die Gelegenheit beim Schopfe gepackt.“
Anna war so verletzt, dass ihre Kehle wie zugeschnürt war. „Ich kann nicht glauben, dass du mir wirklich so etwas unterstellst“, brachte sie schließlich heraus. „Von Dominics Erbschaft wusste ich nichts, und sie interessiert mich auch nicht. Ich habe nämlich nicht die geringste Absicht, deinen kleinen Bruder zu heiraten.“
„Und das soll ich dir glauben?“
„Ob du mir nun glaubst oder nicht,Squire, es ist die Wahrheit.“ Anna wusste genau, wie sehr es Ryder missfiel, mit seinem offiziellen Gutsherrentitel angesprochen zu werden. „Als Dominic herkam, um mir von Edwards Tod zu erzählen, hatte ich ihn schon