1. KAPITEL
„Nur keine Panik“, sagte Jessica Leigh Sterling immer wieder leise vor sich hin, als das Flugzeug auf der Landebahn von Bha’Khar aufsetzte. Sie litt nicht unter Flugangst. Trotzdem spürte Jessica, wie ihr Magen sich vor Nervosität immer mehr zusammenkrampfte.
Damals, als ihre Mutter schwer krank geworden war und Jessica in einem Kinderheim untergebracht wurde, hatte sie dasselbe empfunden. Natürlich war das heute eine völlig andere Situation. Heute stand sie kurz vor der Erfüllung ihres sehnlichsten Traums. Aber gerade deshalb fürchtete sich Jessica schrecklich davor, dass sich am Ende alles nur als Irrtum herausstellen würde.
Alle möglichen Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Bald würde sie die Menschen kennenlernen, die ihrer Mutter nahegestanden hatten. Und vielleicht würden diese Menschen auch sie, Jessica, in ihr Herz schließen.
Das Ganze kam ihr immer noch ziemlich unwirklich vor. Ihre Verwandten lebten nicht in Kalifornien, und Jessica hatte um den halben Globus fliegen müssen, um sie zu treffen.
Sie sehnte sich so sehr nach einer Familie. Nach dem Gefühl, endlich auch einmal dazuzugehören. Konnte nicht ein einziges Mal das Glück auf ihrer Seite sein? Um das herauszufinden, hatte sie diese Reise unternommen.
Erst als das Flugzeug langsam auf das Flughafengebäudezurollte, wurde ihr bewusst, dass sie wirklich in Bha’Khar war, in dem Land, aus dem ihre Mutter stammte und von dem Jessica kaum etwas wusste. Im Vorfeld dieses Besuchs war eine Menge Papierkram zu erledigen gewesen. Schließlich hatte der König von Bha’Khar einen seiner Mitarbeiter zu ihr geschickt, der sie alle möglichen Dokumente in der ihr fremden Sprache unterschreiben ließ. Warum hatte ihre Mutter ihr verschwiegen, dass sie Verbindungen zur königlichen Familie hatte? Jessica hätte es nie erfahren, wenn nicht der Rechtsanwalt des Jugendamts in ihren alten Unterlagen einen Brief ihrer Mutter gefunden und Kontakt mit ihr aufgenommen hätte.
Im Privatjet der königlichen Familie, in dem sie von Kalifornien nach Bha’Khar geflogen war, war sie der einzige Passagier. Als die Anzeige erlosch, löste sie den Sicherheitsgurt, stand auf und streckte sich. Nach dem langen Flug waren ihre Muskeln ganz steif. Man hatte ihr mitgeteilt, sie würde am Flughafen abgeholt, doch das beruhigte sie keineswegs, ihre Nerven waren trotzdem zum Zerreißen gespannt. Während sie mit sich selbst und ihren Ängsten beschäftigt war, bekam sie kaum mit, was um sie her vorging. Erst als ein großer Mann in einem eleganten, perfekt sitzenden dunklen Anzug auf sie zukam, nahm sie sich zusammen und verdrängte die beunruhigenden Gedanken. Irgendwie kam ihr der Mann bekannt vor, woher, hätte sie jedoch nicht sagen können. Sie war ihm no