1. KAPITEL
Ihre schwarzen Pumps mit einer Hand umklammernd, lehnte Anastasia Devereaux sich an die Ziegelwand, holte tief Luft und wartete darauf, dass ihre beschlagenen Brillengläser sich klärten.
„Sieh nicht nach unten“, flüsterte sie. „Du schaffst es schon, wenn du nur nicht nach unten siehst.“
Sie schloss die Augen, um ihr wild schlagendes Herz zu beruhigen. Wie in aller Welt hatte sie – eine intelligente, nicht sonderlich abenteuerlustige Bibliothekarin – es fertiggebracht, im vierten Stock des „Regal Suites Hotels“ in der Innenstadt von Saint Louis auf dem Fenstersims zu landen? Und noch dazu um Mitternacht!
Sie blickte rasch nach links und schluckte nervös. Es gab kein Zurück mehr. Vorsichtig wandte sie den Kopf nach rechts. Ihre einzige Hoffnung war, bis zum nächsten Balkon zu gelangen.
Sie holte tief Luft und konzentrierte sich auf das gegenüberliegende Gebäude, um nicht nach unten zu sehen, und bewegte sich langsam Zentimeter für Zentimeter auf den sicheren Balkon zu ihrer Rechten zu. Die Wand hinter ihr schien an ihrem Haarknoten zu ziehen, denn einzelne Haare verfingen sich in der rauen Struktur. Auch ihre Seidenbluse blieb immer wieder hängen; ihre Seidenstrümpfe hatten längst Laufmaschen und Ziehfäden. Der kalte Februarwind pfiff um sie herum, und sie erschauerte. Hätte sie nur die Geistesgegenwart besessen, nach ihrem Mantel und ihrer Handtasche zu greifen, bevor sie aus Patricks Hotelzimmer geflohen war! Aber das hatte sie nun mal nicht, und es nützte nichts, jetzt ihre Unüberlegtheit zu beklagen.
Sie stieß mit der Hüfte an das Eisengeländer des nächsten Balkons und hielt sich aufatmend daran fest. Es fühlte sich wie eine Rettungsleine an, und Anastasia klammerte sich mit aller Kraft daran. Ihre Großmutter würde ihr nie verzeihen, wenn sie fallen und man ihren leblosen Körper auf der Straße finden würde. Es wäre so entsetzlich würdelos. Und eine Whittmeyer – selbst wenn ihr Nachname Devereaux war – wahrte unter allen Umständen ihre Würde.
„Verzeih mir, Großmutter, aber es geht leider nicht auf damenhafte Weise“, sagte Anastasia leise, warf ihre Schuhe auf den Balkon, schob ihren Rock hoch und schwang ein Bein über das schmiedeeiserne Geländer.
Sie kletterte über das Geländer und fiel auf den rauen Boden. Dabei schürfte sie sich Knie und Handflächen auf, aber sie achtete nicht auf den Schmerz. Im Hotelzimmer brannte ein Licht. Anastasia konnte nur hoffen, dass der Bewohner nicht eingeschlafen oder ausgegangen war und bloß vergessen hatte, das Licht zu löschen.
Sie sammelte ihre Schuhe ein, holte noch einmal tief Luft und klopfte zaghaft an die Schiebetür.
Stille.
Was nun? Patrick konnte jeden Augenblick entdecken, dass sie fort war, und wenn er auf seinen Balkon hinaustrat, würde er sie sofo