PROLOG
Melbourne, Australien Oktober 1997
Es war so dunkel, dass Liam Masters kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Er stieß mit den Stiefeln gegen eine unebene Stelle im Boden, als er von der Einfahrt der Fords auf den gepflasterten Pfad zum Hinterhof abbog. Vor ihm in der Finsternis konnte er schwach das Gartenhaus erkennen.
Wäre er auf der Party geblieben, dann würde er jetzt wahrscheinlich Sally Kendrick die Unterwäsche vom Leib reißen. Trotz seiner Jugend war er erfahren genug, um seine Erfolgsaussichten einschätzen zu können.
Warum er sich trotzdem entschlossen hatte, nach Hause zu gehen, war ihm selbst nicht ganz klar. Er war eben dumm.
Ein Schatten bewegte sich neben dem Gartenhaus. Liam erstarrte. Da hörte er jemanden tief und zittrig einatmen. Die warme Nachtluft trug den honigartigen Duft von Geißblatt zu ihm herüber.
Zoe.
Er schob die Hände in die Gesäßtaschen seiner Jeans. Dort waren sie am sichersten aufgehoben, wenn Zoe Ford in der Nähe war.
„Du bist früh zurück“, stellte sie fest.
„Was machst du hier?“ Seine Stimme klang schärfer, als er beabsichtigt hatte.
„Ich habe auf dich gewartet.“
Liam wusste nicht, wie er auf ihre direkte Antwort reagieren sollte.
„Du solltest nicht hier sein“, sagte er. „Was ist, wenn Tom nach Hause kommt und dich sieht?“
Tom, ihr Bruder, hatte einen ausgeprägten Beschützerinstinkt.
Liam wusste, dass Zoe unwillig die Stirn runzelte, obwohl er ihr Gesicht nicht erkennen konnte. Aber er konnte sich vorstellen, wie ihre grünen Augen unter den dunklen Brauen eigensinnig funkelten.
„Ich habe es satt zu warten“, erklärte sie.
Mist.
Er wünschte, er hätte nicht die drei Bier auf der Party getrunken. Er war leicht benebelt. Er konnte nicht so klar denken, wie es nötig war, wenn die kleine Schwester seines besten Freundes in Reichweite war.
„Niemand hat dich gebeten zu warten“, entgegnete er.
Sie redeten nicht von seinem Nachhausekommen. Beide wussten es.
„Ist es wahr?“, fragte Zoe.
„Was?“
„Was Tom mir erzählt hat. Ist es wahr, dass du mit Sally Kendrick gehst?“
„Du musst ins Haus zurück, bevor deine Eltern uns hören“, erwiderte er.
„Gehst du mit ihr oder nicht?“ Ihre Stimme zitterte.
„Nein.“
Ich hätte lügen sollen, dachte Liam. Er hätte Zoe sagen sollen, dass Sally und er verrückt nach einander waren, dass er gerade aus ihrem Bett kam.
„Ist das der Grund, weshalb du so früh zurück bist? Weil es mit Sally nicht so läuft?“
Zoe kam näher. Liam konnte ihr blasses ovales Gesicht sehen und den süßen Duft ihrer Lieblingsbodylotion riechen.
Sie ist fünfzehn, Mann. Fünfzehn und die Tochter der Leute, die dich bei sich aufgenommen haben, als niemand anders dich wollte.
Er musste sie dazu bringen, in ihr Zimmer zurückzukehren. „Ich weiß nicht, warum ich schon nach Hause gekommen bin“, meinte er.
Sie trat noch einen Schritt näher. Ihre Augen schimmerten im schwachen Licht.
„Küss mich“, flüsterte sie. „Bitte.“
Liam krallte seine Finger in den Jeansstoff. „Du musst jetzt reingehen.“ Seine Stimme war zu leise. Er klang nicht überzeugend. Eher verzweifelt.
Zoe musste den gleichen Eindruck haben, denn sie machte einen weiteren Schritt auf ihn zu, sodass sie ganz nah bei ihm stand. Liam spürte ihre Wärme, ihre kleinen festen Brüste an seinem Oberkörper, ihren Atem an seinem Hals.
„Ich halte es nicht mehr aus, Liam. Dir beim Frühstück und Abendbrot gegenüberzusitzen, dich in der Schule und zu Hause zu sehen. Ich kann nicht aufhören, an dich zu denken. Bitte küss mich.“
Jeder Muskel in ihm spannte sich an, als Zoe die Arme um seine Taille schlang. Sie drängte sich an ihn und hauchte zarte Küsse auf sein