1. KAPITEL
Cleo Hollings, stellvertretende Bürgermeisterin von New York City, schaute auf ihre Armbanduhr und stöhnte. Sechs Uhr morgens. Sie brauchte Schlaf, dringend. Der Streik der Mitarbeiter der öffentlichen Verkehrsbetriebe zerrte an ihren Kräften. Überreizt sprangen ihre Gedanken von den ins Stocken geratenen Tarifverhandlungen zu ihrem ins Stocken geratene Liebesleben. Daran zu denken hatte ihr jetzt gerade noch gefehlt, aber vier Tage ohne ausreichende Nachtruhe, da musste man ja verrückt werden. Sie brauchte Schlaf. Wenigstens ein paar Minuten.
Vorsichtig schob sie die hohen Aktenstapel beiseite, verschränkte die Arme auf dem Schreibtisch und bettete ihren Kopf darauf. Langsam döste sie ein und verlor sich in Träumen, in denen das Unmögliche möglich war und die Männer aus dem Stoff waren, aus dem Helden geschaffen sind …
Die Wüstensonne brannte vom Himmel, aber innerhalb der hohen Marmorwände der City Hall war es angenehm kühl. Ihre treuen Diener wedelten mit Palmblättern und boten ihr Wasser aus diamantbesetzten Kelchen und die süßesten Weintrauben der Ostküste an. Leider war die Atempause nur kurz. Es wurde Zeit, ihren Pflichten als Herrscherin vom East River nachzukommen. Majestätische Fanfaren-klänge begleiteten sie auf dem Weg zum Thron.
Ihre Wache war zehntausend Mann stark. Sie trugen die blaue Uniform der Bus- und Bahnfahrer als Zeichen ihrer Loyalität ihrer Herrscherin und der Stadt gegenüber. Ehrerbietig teilte sich die Menge vor ihr, um sie durchzulassen. Dabei fiel Cleo ein Fremder auf.
Der Mann war einen Versuch wert.
Sie erkannte es an seinem herausfordernden Blick. Der Mann glaubte, er könnte sie zähmen – sie, die über ganz New York regierte. Es gab nur wenige Männer, die sie zu befriedigen vermochten. Wenn man Cleopatra hieß, warendie Ansprüche hoch.
Langsam näherte er sich ihrem Thron, mit geschmeidigen Bewegungen, wie ein Löwe, der sich an seine Beute heranpirschte. Seine nackten Füße verursachten kein Geräusch auf dem kalten Marmorboden. Elegant kniete er vor ihr nieder, doch er senkte den Kopf nicht ehrfürchtig, wie es sich für einen Untergebenen eigentlich ziemte. Stattdessen sah er ihr gerade in die Augen und versprach ihr mit seinem Blick das Blaue vom Himmel.
Schon viele Männer hatten versucht, sie zu umwerben – mit Geschenken und blumigen Worten, die sich letztlich als leere Versprechungen entpuppten. Sie kannte die Spielchen, doch diese Arroganz war neu für sie.
Cleo war fasziniert.
Sie erhob sich und überragte ihn stehend, um ihn daran zu erinnern, auf welchen Platz er gehörte.
Selbst in kniender Haltung war seine gebändigte Kraft erkennbar. Die kräftigen Muskeln seiner Schultern zeichneten sich verführerisch unter dem dünnen Stoff seiner Toga ab. Cleo verspürte Lust, ihn zu berühren, doch sie verharrte regun