1. KAPITEL
„Mit wem, glaubst du, hat sie geschlafen, um befördert zu werden?“
Gabrielle Flannery riss ihren Blick von der strahlenden Blondine los, zu deren Verabschiedung sich die ganze Abteilung versammelt hatte, und drehte sich stirnrunzelnd zu ihrer Kollegin und Freundin Tori um. „Ich weiß nicht, was du gegen Courtney hast. Sie war immer nett zu mir. Und zu dir auch.“
Tori stieß einen verächtlichen Laut aus. „Ja, weil wir sklavisch vor ihr gebuckelt haben.“
Gabrielle reckte sich, um aus dem hinteren Teil des Konferenzraums besser sehen zu können, wie der Kuchen feierlich angeschnitten wurde. „Also ich freue mich für Courtney. Es ist doch schön, dass sie weiterkommt.“
„Ja, ja“, murrte Tori. „Sie kriegt ein sechsstelliges Gehalt, einen gigantischen Werbe-Etat, einen nagelneuen Firmenwagen und ein Eckbüro. Die coolen Kids machen einen Punkt nach dem anderen, während wir alte Trottel noch immer bei null stehen.“
Es störte Gabrielle, als Trottel bezeichnet zu werden. „Aber wir haben doch auch einen eigenen Etat.“ Ihr Puls beschleunigte sich, als Dell Kingston vortrat, um anlässlich des Ereignisses einige Worte an die Anwesenden zu richten.
„Ja, und was für tolle Etats das sind“, sagte Tori hinter vorgehaltener Hand. „Findest du es nicht merkwürdig, dass all die aufregenden Produkte wie Designerkleidung und europäische Wagen an Leute wie Courtney Rodgers und Dell Kingston gehen, während unsereins sich mit Toilettenpapier und Hundefutter begnügen muss?“
Gabrielle bemühte sich um einen besseren Blick, obwohl Dell Kingstons markantes Profil weit interessanter war als der kunstvoll verzierte Baumkuchen. „Sie sind eben schon länger in der Firma“, antwortete sie abwesend.
„Zwei lausige Wochen länger, ja, und auf der Karriereleiter sind sie uns um Lichtjahre voraus.“ Frustriert schlug Tori an einen Zweig des Ficus, hinter dem sie standen. „Sieh uns an. Wir stehen als Zaungäste hinter einem Baum, um zuzuschauen, wie sie sich in ihrem Erfolg sonnen.“
Gabrielle biss sich auf die Lippe, als sie Courtney und Dell betrachtete. Die Barbie und der Ken von „Noble Marketing of Atlanta“ lächelten sich an, als ob sie ein intimes Geheimnis teilten.
„Jetzt, da Courtney geht, wird Dell ein freier Mann sein“, flüsterte Tori Gabrielle ins Ohr.
„Hör auf!“, zischte Gabrielle. Hätte sie Tori bloß nicht anvertraut, dass sie in Dell verknallt war. Zum Glück hatte sie nichts über das wahre Ausmaß ihrer Gefühle gesagt. Als ob Dell Kingston sich je für sie interessieren würde, außer vielleicht als Zielscheibe für blöde Witze. Er hänselte sie ständig wegen ihrer roten Haare und Sommersprossen und nahm dabei auch noch einen übertriebenen irischen Akzent an.
„Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?“, riss Dell sie aus ihren Gedanken und setzte sein atemberaubendes Lächeln auf.
Es wurde still im Raum, und Gabrielle spürte, wie sie sich unweigerlich zu Dell hingezogen fühlte. Der Mann hatte eine unglaubliche Ausstrahlung.
Er wandte sich an die schöne Courtney. „Wir sind heute in Gegenwart dieser Zeugen hier“, begann er und brach dann ab. „Nein, Moment … das passiert nur in meinen Träumen.“
Alle lachten, als Courtney scherzhaft seinen Arm knuffte.
Gabrielle lachte mit, aber innerlich beneidete sie Courtney Rodgers, eine hochgewachsene, goldblonde und äußerst attraktive Südstaatlerin von vornehmer Herkunft. All diese Attribute hatte sie eingesetzt, um zur Top-Etatdirektorin aufzusteigen und einen Posten im New Yorker Büro der Firma anzutreten.
Allerdings war es schwer, der Frau weibliche List vorzuwerfen. Courtney arbeitete hart und hatte bei Noble viele Überstunden gemacht.
Gabrielle seufzte innerlich – aber nicht so viele Überstunden, wie sie und Tori verzeichnen konnten.
„Aber Spaß beiseite“, fuhr Dell fort, „wir alle werden Courtney vermissen und wünschen ihr nur das Beste für ihr neues Abenteue