1. Menschsein heißt Bedürfnisse haben
Wir sind einander nah durch die Natur, aber sehr entfernt durch die Bildung.
KONFUZIUS
Die Bedürfnispyramide von Abraham Maslow
Welche Bedürfnisse haben wir als Menschen? Sind sie bei allen gleich? Vordergründig gesehen natürlich nicht – da sind wir Menschen ungeheuer verschieden. Deshalb ist es ja auch oft so schwer, einander zu verstehen und miteinander auszukommen. Aber letztlich verhält es sich wie bei den Pflanzen: So unterschiedlich sie aussehen, so verschieden die Wachstumsbedingungen oder die Früchte sein mögen – sie alle brauchen Wurzeln, Wasser, Licht und Luft, um zu gedeihen. Ähnlich ist es bei uns Menschen: Je mehr es ums »Grundsätzliche« geht, desto ähnlicher sind die Bedürfnisse.
Der amerikanische Psychologe Abraham Maslow veröffentlichte vor einigen Jahrzehnten ein Modell der »menschlichen Grundbedürfnisse«, das ich Ihnen im Folgenden kurz vorstellen möchte. Die Besonderheit dieses Modells liegt in der stufenförmigen Aufeinanderfolge der von ihm aufgelisteten Bedürfnisse. Stellen Sie sich also eine Pyramide vor. Welche Bedürfnisse würden Sie an der Basis ansiedeln? Maslow verankert hier den
• Wunsch nach Befriedigung grundlegender körperlicher Bedürfnisse: Nahrung, Wärme, Schlaf, Schmerzfreiheit.
Solange wir hungern, können wir an (fast) nichts anderes denken als daran, wie wir Nahrung bekommen. Das Gleiche gilt für Durst, der uns noch viel früher quält als der Hunger. Wer todmüde ist, ist für nichts mehr in seiner Umwelt wirklich aufnahmefähig – all sein Sinnen und Trachten ist nur noch darauf gerichtet, schlafen zu können. Auch starke Schmerzen bewirken, dass wir für nichts anderes mehr offen sind: Wer Schmerzen hat, derist in gewisser Weise Schmerz. Das ganze Menschsein, all unser Denken, Fühlen und Erleben, ist auf diesen einen Punkt reduziert: den Schmerzpunkt.
Anders gesagt: Ohne ein gewisses Maß an Pflege und Rücksicht, die wir unserem Körper zukommen lassen, kann er – und damit auch unser ganzer Mensch – weder existieren noch funktionieren.
Auf der nächsten Stufe der Pyramide folgt der
• Wunsch nach Sicherheit.
Kinder schlafen oft leichter auf dem Arm der Mutter oder sonst einer Bezugsperson ein, obwohl es im Bettchen sicher genauso warm und bequem wäre. Doch der Arm der Mutter verleiht ihnen das Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit: »Er hat den Knaben wohl in dem Arm, er fasst ihn sicher, er hält ihn warm« heißt es im Gedicht »Der Erlkönig« von Johann Wolfgang von Goethe. Auch wir Erwachsenen sind Menschen, die eigentlich schnell in Angst zu versetzen sind – selbst wenn wir gelernt haben, nach außen Ruhe zu bewahren. Manchmal ist die Angst sehr hilfreich, weil sie uns in Bewegung setzt und uns vor Gefahren schützt, doch manchmal kann Angst auch geradezu gegenteilig wirken, indem sie uns lähmt.
Ich habe gelesen, dass in der Bibel nichts so häufig zum Menschen gesagt wie: »Fürchte dich nicht!«, und: »Habt keine Angst!« Das zeigt, wie anfällig wir Menschen für die Angst sind – weil wir bedürftige Wesen sind! Man kann im Grunde vor allem und um alles Angst haben – doch die elementarste Angst ist die Angst um sich selbst, sozusagen um Leib und Leben, und die Angst um Menschen, die man liebt.
Viele inzwischen alt gewordene Menschen erinnern sich noch lebhaft an ihre Ängste im Krieg, sei es im Luftschutzkeller, sei es auf der Flucht, sei es angesichts fremder Soldaten oder in sonst einer lebensbedrohlichen Situation. Die Angst, dieses elementare Gefühl der Unsicherheit, des Bedrohtseins oder der Schutzlosigkeit, hat sich in ihrem Gedächtnis unauslöschlich eingegraben, hat sie oft bis in ihre Träume verfolgt und auch zu viel späterem Leiden geführt. Wie viele in der Kriegszeit und zu Kriegsende noch nicht erwachsene Kinder und Jugendliche haben Entsetzliches miterlebt, das ihr Vertrauen ins Leben oder in fremde Menschen zutiefst erschüttert und für immer beeinträchtigt hat!
Ich denke an eine Frau, die zur Beratung zu mir kam und erzählte, wie schwer sie sich damit tue, auf Menschen vertrauensvoll zuzugehen. Sie sei einfach ein »sehr misstrauischer, ängstlicher Mensch«, meinte sie als Erklärung dafür, dass sie so wenig enge Freunde und Freundinnen hatte. Bald schon kamen wir im Gespräch auf ihre Kindheit zu sprechen, die in die Zeit des Kriegsendes und der Nachkriegswirren fiel. Viele Situationen von Angst und Unsicherheit waren ihr noch gegenwärtig – außerdem hatte sie eine Mutter, die ihr eigenes misstrauisch-distanziertes Denken und Fühlen ungeprüft an die Tochter weitergab. (»Verlass dich auf niemanden, nur auf dich selbst!« war einer ihrer mütterlichen Lehrsätze.) Das hat diese Frau geprägt.
Wie aber soll man vertrauensvoll und