Nachdem er so müßig herumgebummelt war, sprach Eugène gegen fünf Uhr bei Madame de Beauséant vor und erhielt dort einen Schlag, gegen den junge Herzen wehrlos sind. Bisher war ihm die Vicomtesse mit sicherer Anmut, mit jener entzückenden Liebenswürdigkeit entgegengetreten, die eine aristokratische Erziehung verleiht und die nur dann vollkommen ist, wenn sie von Herzen kommt.
Als er eintrat, bot ihm Madame de Beauséant einen kühlen Gruß und sagte mit harter Stimme: »Monsieur de Rastignac, es ist mir unmöglich, Sie zu empfangen, wenigstens jetzt unmöglich! Ich bin beschäftigt …«
Für einen guten Beobachter – und das war Rastignac inzwischen geworden – enthüllte dieser Satz, die kühle Geste, der Blick, der Tonfall das ganze Gebaren ihrer hochmütigen Kaste. Er gewahrte unter dem samtenen Handschuh die eiserne Faust; den Eigenwillen, die Selbstsucht unter der Politur der Höflichkeit; das Holz unter dem Lack. Er vernahm das ›Ich, der König‹, das beim Federbusch des Thrones beginnt und erst beim Helmbusch des letzten Edelmannes endet. Eugène hatte sich gar zu schnell auf den Adel dieser Frau verlassen. Wie alle Unglücklichen hatte er in gutem Glauben den gefährlichen Vertrag unterzeichnet, der den Almosenempfänger an den Wohltäter bindet. Die Wohltätigkeit, die zwei Wesen zu einem verschmilzt, bedingt eine himmlische Hingabe, die ebenso selten ist wie die wahre Liebe. Beide sind sie nur schönen Seelen in verschwenderischer Fülle zu eigen. Rastignac wollte um jeden Preis auf den Ball der Duchesse de Carigliano gelangen – er schluckte also die Grobheit hinunter.
»Madame«, sagte er mit bebender Stimme, »wenn es sich nicht um eine wichtige Sache handelte, würde ich Sie nicht behelligen; seien Sie so liebenswürdig und erlauben Sie mir, mich später zu empfangen, ich werde warten.«
»Also gut, Sie können nachher mit mir speisen«, sagte sie, selbst ein wenig verwirrt über die Härte ihrer Worte; denn diese Frau war wirklich ebenso gut wie groß.
Obgleich dieser plötzliche Umschwung ihn rührte, dachte Eugène doch beim Fortgehen: ›Krieche und winde dich aufwärts, ertrage alles! Wie müssen die andern sein, wenn die beste der Frauen wie im Handumdrehen ihr Freundschaftsversprechen wieder auslöscht, dich abseits liegen läßt wie einen alten Stiefel? So ist es denn wahr: jeder für sich? Es ist ja richtig, daß ihr Haus kein Kaufladen ist, und es ist dumm, daß ich sie nötig habe. Man muß sich, wie Vautrin sagte, zu einer Kanonenkugel machen.‹
Die herben Betrachtungen des Studenten wurden bald zerstreut durch die Freude, die er sich davon versprach, bei der Vicomtesse zu speisen. So schienen durch eine Art Verhängnis die unbedeutsamsten Ereignisse seines Lebens sich so zu fügen, daß sie ihn in eine Laufbahn schoben, in der er – laut Ausspruch der schrecklichen Sphinx des Hauses Vauquer – wie auf einem Schlachtfelde töten mußte, um nicht getötet zu werden, betrügen, um nicht betrogen zu werden; wo er vor Betreten des Kampfplatzes sein Gewissen, sein Herz ablegen und eine Maske vorbinden mußte, um mitleidlos mit Schicksalen zu spielen und, wie in Lakedaimonien, ohne selbst gesehen zu werden, das Glück zu erfassen, die Krone zu erringen.
Als er bei der Vicomtesse wieder eintrat, fand er sie voll