PROLOG
Paris, April 1417
„Hilf mir! Ich bin aus Glas! Ich werde zerbrechen!“, jammerte die erbärmliche Gestalt auf dem vergoldeten Thron.
Es war keiner der besseren Tage des Königs von Frankreich. Charles Valois, in hermelinbesetzter purpurner Samtrobe, die fadenscheinig und voller Fettflecken war, starrte mit leerem Blick auf die junge Witwe, dann bedeutete er ihr mit einer Geste seiner schmutzigen, mit langen, gebogenen Fingernägeln unappetitlich aussehenden Hand, dass sie entlassen war.
Elise de Vire blickte entsetzt auf ihren Monarchen. König Charles hatte nichts von ihrer so sorgfältig ausgedachten Bitte um Rache an den Engländern verstanden. War ihre lange Reise von der Normandie in die französische Hauptstadt vergeblich gewesen?
Der König war genauso geistesgestört wie gemunkelt wurde. Elise hatte gehofft, ihn in einer seiner guten Phasen anzutreffen, aber es war bekannt, dass er, wenn er wieder dem Wahnsinn verfiel, monatelang nicht zurechnungsfähig war. Und sie besaß nicht genügend Mittel, um längere Zeit in Paris bleiben zu können.
Ein Lakai trat vor, redete begütigend auf den König ein und führte ihn schließlich aus dem Saal.
„Vielleicht solltet Ihr besser mit mir sprechen, Madame“, sagte eine Stimme aus den Schatten. „Wie Ihr gesehen habt, ist mein Gemahl bedauerlicherweise indisponiert.“
Elise zuckte unwillkürlich zusammen, als eine in Rot gewandete Gestalt aus dem Dunkel erschien. Fettwülste drohten den wertvollen Stoff zu sprengen, als die korpulente Dame sich auf dem Thron niederließ. Drei übereinanderliegende Kinne wabbelten, als sie Elise huldvoll zunickte. Ein grotesker, spitz zulaufender Kopfputz aus versteiftem roten Brokat, mit Schleiern geschmückt, verrutschte dabei leicht, und Elise erhaschte einen Blick auf dunkles ergrauendes Haar. Ein durchdringender Geruch von Parfüm und ungewaschenem Körper schlug der jungen Frau entgegen.
„Königliche Hoheit“, flüsterte Elise und versank in einen tiefen Hofknicks.
Isabella von Bayern bedeutete ihr, sich zu erheben. „Ich habe gehört, was Ihr sagtet“, murmelte sie mit einer vagen Handbewegung zu dem Korridor hin, der die königlichen Gemächer mit dem Audienzsaal verband. „Ich hatte es im Gefühl, dass mein Gemahl der Unterhaltung nicht mehr würde folgen können.“ Sie sprach von dem periodischen Wahnsinn des Königs so beiläufig wie andere vom Wetter.
Elise schwieg, da sie nicht recht wusste, was von ihr erwartet wurde.
„Also! Ihr seid die Witwe, und Ihr wollt Rache für den Tod Eures jungen Ritters“, bemerkte Königin Isabella und musterte Elise prüfend aus blassen Augen, die fast in Fettfalten verschwanden.
„Ja, Königliche Hoheit.“
„Nun, meinen Glückwunsch“, meinte die Königin trocken. „Ihr befindet Euch in guter und zahlreicher Gesellschaft. Ihr seid eine von Tausenden junger Frauen, die an jenem Tag zu Witwen gemacht wurden. Hat Euer Ritter Euch denn keine Kinder hinterlassen, um Euch zu beschäftigen, wie es einer jungen Witwe ziemt?“
„Nein, Königliche Hoheit.“ Elise senkte den Kopf, sodass diese mächtige Frau mit der spöttischen Stimme und Miene ihre Tränen nicht sehen konnte.
Nachdem sie die verstümmelte Leiche ihres Gemahls ehren