1. KAPITEL
Mit ihrem dreijährigen Sohn auf dem Arm verließ Tess Kendrick den Privatjet ihrer Großmutter und ging die Treppe zum Rollfeld hinunter. Als ihnen im heißen Sommerwind von Virginia der ohrenbetäubende Turbinenlärm entgegenschlug, vergrub der kleine Mikey den Kopf an der Schulter seiner Mutter.
Am Fuß der Treppe verbeugte sich ein Mann aus dem Sicherheitsdienst ihrer Großmutter respektvoll vor Tess, während ein uniformierter Steward ihr Gepäck in dem bereitstehenden schwarzen Lincoln SUV verstaute.
Es war ein gutes Jahr vergangen, seit ihr Scheidungsskandal sie ins Exil gezwungen hatte. Auch wenn dieses Exil ein Königspalast am Mittelmeer war, wo ihre Großmutter mütterlicherseits sie und Mikey jederzeit herzlich willkommen hieß, hatte Tess es nicht länger in diesem goldenen Käfig ausgehalten.
Einsamkeit, Heimweh und der Wunsch nach einem eigenständigen Leben hatten sie nun nach Camelot, Virginia, zurückgebracht. Hier lag das Anwesen ihrer Familie etwas außerhalb der pittoresken kleinen Stadt. Es war der Ort, wo sie geboren und aufgewachsen war und wo ihre Eltern heute noch lebten. Vor allem aber war es ihr Zuhause.
„Brauchen Sie Hilfe mit dem Kind, Ma’am?“
„Danke, es geht schon.“ Sie hob den flachsblonden Jungen ein Stückchen höher auf ihre Hüfte und rückte sich die übergroße Schultertasche auf der anderen Seite zurecht. Ihre Nervosität war ihrem freundlichen Lächeln nicht anzusehen. „Und vielen Dank für die Begleitung. Sie waren alle sehr freundlich.“
Der ernste Mann mit dem starken französischen Akzent verneigte sich ehrerbietig. „Es war uns ein Vergnügen, Ma’am. Ich bringe Sie zum Wagen.“ Er ließ sie vorgehen, ohne ihr Lächeln erwidert zu haben.
Beinahe kam es Tess so vor, als wäre ihm in seiner Stellung jede Gefühlsregung untersagt. Schon als Kind, wenn sie mit ihren Geschwistern ihre Großmutter besucht hatte, war ihr aufgefallen, dass ein Lächeln offenbar nur den engsten Bediensteten der königlichen Familie erlaubt war. Sosehr Tess ihre Großmutter auch liebte, die Formalitäten im Palast hatten ihr nie gefallen.
Ihr Sohn hatte unter der strengen Etikette allerdings nicht gelitten. Der Junge hatte in der Zeit, bevor sie mehr oder weniger gezwungenermaßen das Land verlassen hatten, weitaus mehr Unterdrückung erfahren als im Palast, und das von seinem eigenen Vater, ihrem Exmann.
Unwillkürlich drückte Tess ihren Sohn fester an sich, als sie auf den wartenden Wagen zuging. Sie wollte jetzt ein Haus kaufen und ihre Arbeit in der Kendrick Foundation fortsetzen. Vor allem aber wollte sie die letzten Jahre vergessen, in denen ihr Prinz sich in einen Frosch verwandelt und ihren Ruf von Grund auf zerstört hatte.
Leider gab es keine Möglichkeit, den Lügen ihres Exmannes entgegenzutreten, ohne dadurch noch größeren Schaden am eigenen Ruf anzurichten. Ihr blieb nur die Hoffnung, dass die Menschen sie so in Erinnerung hatten, wie sie sie von früher kannten, und nicht so, wie ihr Exmann sie dargestellt hatte. Sicher würde mit der Zeit etwas Gras über ihre Scheidung gewachsen sein.
Die Wahrheit über ihre Ehe mit Bradley Michael Ashworth III. kannte außer Tess jedoch niemand. Sie war so erzogen, dass sie mit niemandem über Dinge sprach, für die sich die Klatschpresse interessieren könnte. Nicht e