1. KAPITEL
Er war allein am Strand. Mutterseelenallein.
Genau das hatte er gehofft. Es war zwar kurz vor Mitternacht, und gestern hatte der Herbst offiziell begonnen, aber das hier war Südkalifornien. Da konnte es passieren, dass man einem Liebespaar begegnete, das die Einsamkeit nutzen wollte. Oder einem Obdachlosen, der auf einer Bank an diesem Abschnitt von Laguna Beach ein paar Stunden schlief.
Halb Park, halb Strand, verströmte er mediterranes Flair. Trevor Marlowe liebte das Mittelmeer, und auch deshalb hatte er sich diesen malerischen Ort am Pazifik ausgesucht, um sein erstes eigenes Restaurant zu eröffnen.
Kate’s Kitchen hatte er es getauft, weil er in der Küche seiner Stiefmutter die Liebe zum Kochen entdeckt hatte. Es lag wunderschön, mit Blick aufs Meer, und Trevor hatte gehofft, dass die Gäste auch wegen der Aussicht kommen würden. Aber Kate hatte darauf bestanden, dass er sie vor allem mit seinen Kochkünsten beeindruckte. Inzwischen war sie mit seiner Leistung am Herd mehr als zufrieden. Das machte ihn stolz, denn schließlich war sie seine erste kulinarische Lehrerin gewesen.
Andererseits durfte er sich auf das Lob nicht zu viel einbilden, denn seine Stiefmutter war ein herzensguter Mensch, der niemandem wehtun konnte. Kate Llewellyn Marlowe war freundlich, liebevoll und fürsorglich, aber wenn ihr etwas wichtig war, konnte sie durchaus energisch sein.
Bei ihr kam nie Langeweile auf, und vor allem hatte sie die Talente ihrer Kinder stets gefördert. Sie hatte Trevor ermutigt, seinen Traum zu verwirklichen und ein Spitzenkoch zu werden.
Als er knapp bei Kasse war, hatte sie ihm Geld zugesteckt, damit er nach Italien fliegen und in einer renommierten Schule von den Besten seines Fachs lernen konnte. Vor allem ihr war es zu verdanken, dass Kate’s Kitchen schon mehrfach ausgezeichnet worden war.
Sie alle hatten ihr viel zu verdanken – er, seine drei Brüder und sein Vater. Trevor wollte sich lieber nicht vorstellen, was aus ihnen geworden wäre, wenn sein überforderter Vater ihr nicht begegnet wäre. Auf einem Kindergeburtstag, bei dem sie mit Handpuppen ein lustiges Theaterstück aufführte. Offenbar hatte er sofort gespürt, dass sie die Frau war, die mit seiner stets zu Streichen aufgelegten Rasselbande fertig werden konnte.
Trevor und seine Brüder waren ziemlich rebellisch gewesen. Ihre Mutter war erst kürzlich gestorben, und sie hatten ihre Trauer wohl nicht anders verarbeiten können. Ohne Kate wären Mike, Trent, Travis und er vermutlich im Erziehungsheim gelandet, wenn nicht sogar im Jugendgefängnis. Zum Glück war sie rechtzeitig in ihr Leben getreten, mit Zuversicht, Geduld, Verständnis und ihren Handpuppen. Ohne Kate wären sie alle verloren gewesen. War das alles wirklich schon zwanzig Jahre her? Es kam ihm vor wie gestern.
Eine besonders kräftige Welle lief auf dem Strand aus und umspülte seine bloßen Füße. Trevor fühlte, wie der Sand unter den Sohlen nachgab und das in den Ozean zurückströmende Wasser an ihm zog.
Ich sollte besser nach Hause gehen, dachte Trevor, kehrte jedoch nicht um. Nur ein paar Minuten noch, sagte er sich. Die frische Luft tat gut, und er musste dringend eine Weile abschalten. Es war eine lange, anstrengende Woche gewesen, und es war noch nicht mal Wochenende.
Ihm graute vor morgen. Selbst wenn sich niemand krank meldete, würde es ein harter Tag werden. Schon jetzt fehlte ihm eine Mitarbeiterin, und bis die Agentur ihm Ersatz schickte, musste er doppelt so viel arbeiten wie sonst. Mit gerunzelter Stirn dachte Trevor daran, wie Ava, die in seiner Küche für die Salate zuständig gewesen war, ihm die schlechte Nachricht überbracht hatte.
Ihr Freund, ein Biker mit tätowiertem Oberkörper, wollte unbedingt auf Tour gehen. Quer durchs Land, mit dem Motorrad, zwei Monate lang. Und heute Nachmittag hatte Ava