: Thomas Riegler
: Oliver Rathkolb
: Im Fadenkreuz Österreich und der Nahostterrorismus 1973 bis 1985
: Vandenhoeck& Ruprecht Unipress
: 9783862346721
: Zeitgeschichte im Kontext
: 1
: CHF 86.40
:
: Zeitgeschichte (1945 bis 1989)
: German
: 517
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Mord, Geiselnahmen und wahllose Attentate - von 1973 bis 1985 befand sich Österreich im Fadenkreuz des internationalen Nahostterrors. Dieses Buch arbeitet den Gesamtkomplex der Ereignisse - die Geiselnahmen von Marchegg (1973) und im Wiener OPEC-Hauptquartier (1975), den Mord am Wiener Stadtrat Heinz Nittel und die Anschläge gegen die Wiener Synagoge (1981) sowie am Flughafen Schwechat (1985) - erstmals wissenschaftlich auf. Anhand von umfangreichen Recherchen in österreichischen und bundesdeutschen Archiven sowie Interviews mit Zeitzeugen rekonstruiert der Autor die Ereignisse, die Reaktionen von Politik und Behörden, die Motive der terroristischen Gruppen sowie deren Beziehungen zu staatlichen Sponsoren im Nahen Osten. Zentral ist dabei die Bewertung der außergewöhnlichen Strategie von Bundeskanzler Bruno Kreisky zur Prävention bzw. Bekämpfung von Terrorismus. Ein »vergessenes« Kapitel österreichischer Zeitgeschichte wird so erstmals komplett erschlossen und neu zur Diskussion gestellt.

Dr. Thomas Riegler, geboren 1977, ist Zeithistoriker in Wien und auf die Erforschung von Terrorismus spezialisiert.
8. Der Mord an Issam Sartawi (S. 389-390)

Von Issam Sartawi war bereits mehrfach die Rede– da sein Beitrag zur politischen Normalisierung der PLO bislang relativ unbeachtet blieb, wird im folgenden Abschnitt näher auf seine Person und seine Rolle in der Geheimdiplomatie der PLO gegenüber Westeuropa Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre eingegangen. Von besonderem Interesse ist freilich Sartawis Bezug zuÖsterreich– insbesonders seine Beraterfunktion für die Behörden im Kampf gegen die Bedrohung durch die Al Assifa.

Es ist nicht auszuschließen, dass diese geheime Funktion mit ein Grund dafür war, dass Saratwi 1983 ermordet wurde. Issam Sartawi (»der Mann aus Sarta«) stammte aus Akko, wo er am 1. Januar 1934 geboren wurde. Nach dem Krieg und der Vertreibung 1948 begann er ein Medizinstudium in Bagdad und ging dann in die Vereinigten Staaten, um es dort abzuschließen und Herzchirurg zu werden. Nach dem Sechs-Tage-Krieg (1967) schaffte er es nicht länger im Exil zu leben und kehrte in den Nahen Osten zurück.

Dort schloss er sich zunächst der Fatah von Jassir Arafat an, gründete aber bald seine eigene Gruppe– die»Al Hajaa Al Amelah Li Tahir Palestin«, die»Aktionsfront für die Befreiung Palästinas«. Im Juni 1970 wurde Sartawi als Vertreter seiner Organisation in den Vorstand der PLO gewählt. Zu diesem Zeitpunkt setzte er noch auf den»bewaffneten Kampf« als Mittel zur Befreiung Palästinas. Seine Gruppeüberfiel israelische Armeepatrouillen am Jordan und attackierte im Februar 1970 Transit-Passagiere eines El-Al-Fluges amMünchner Flughafen, weil manunter ihnen den israelischenVerteidigungsministerMosche Dajan vermutet hatte.

In einem Interview, das er dem Beiruter Korrespondenten des Zweiten Deutschen Fernsehen, Heinz Metlitzky, in Amman gab, begründete Sartawi die Aktion folgendermaßen:»Unsere Organisation hatte erfahren, dass ein Mister Dajan mit der El-Al-Maschine 435 von Tel Aviv nachMünchen fliegen würde. Uns war es wichtig, diesen Mister Dajan gefangen zu nehmen von dem wir glaubten, dass es der General persönlichwäre…Unsere Jungs näherten sich den Passagieren mit Handgranaten, bei denen die Federn entfernt waren, während sie dieHebel eng an die Granaten gepresst hielten.

Mit anderenWorten: sie kamen auf die Passagiere mit ziemlich ungefährlichen Handgranaten zu. Die Granaten waren zwar aktiviert, doch sie waren ungefährlich. Nun war offenbar der Pilot des Flugzeugs vorwitzig genug zu versuchen, einen unserer Jungs anzugreifen, der die aktivierte Handgranate im Arm hielt. Im folgenden Handgemenge fiel die Granate auf den Boden. Das bedeutete, dass sie automatisch nach vier Sekunden explodierte. Wir nehmen an, dass dieübrigen Mitglieder unserer Einheit nach der ersten Explosion dachten, die ganze Operation sei fehlgeschlagen.
Inhalt5
Danksagung9
Vorwort11
1. Einführung: Terrorismus und Antiterrorpolitik in Österreich19
1.1 Terrorismus in Österreich – Ausprägungen und Formen26
1.2 Gesetzliche Maßnahmen gegen Terrorismus34
1.3 Polizeiliche Terrorbekämpfung: Organisatorische Grundlagen und Zuständigkeiten35
1.4 Internationale Zusammenarbeit38
1.5 Politische Strategie im Umgang mit Terrorismus40
1.6 Inhaltlicher Ausblick49
2. Bruno Kreisky und die Nahostpolitik53
2.1 Voraussetzungen55
2.2 Der Nahost-Konflikt und der Terrorismus67
2.3 Die österreichische Nahostpolitik71
2.4 Anerkennung der PLO74
2.5 Geheimdiplomatie77
2.6 Kreiskys schwieriges Verhältnis zu Israel83
2.7 Kreisky und Arafat86
2.8 Kreisky und Gaddafi98
3. Nahostterror in Österreich – Täter und Motive113
3.1 Schönau – die »Adler der palästinensischen Revolution« und die jüdische Emigration113
3.2 Der »Arm der arabischen Revolution« und die OPEC-Geiselnahme125
3.3 Abu Nidal und der Terror in den 1980er Jahren138
4. Die Ereignisse155
4.1 Die Geiselnahme von Marchegg/Schwechat 1973155
Die Geiselnahme im »Chopin Express«155
Das Nachspiel – die Kontroverse um die Schließung Schönaus175
4.2 Die OPEC-Geiselnahme185
»Sie grüßten freundlich« – der Überfall auf die Sitzung185
Der außerordentliche Ministerrat im Bundeskanzleramt195
Der weitere Verlauf des Geiseldramas208
Die juristische Aufarbeitung des OPEC-Attentats215
»Eiertanz« um Gabriele Kröcher-Tiedemann (»Nada«)216
Carlos und die österreichische Justiz – »Wir würden die Belastung durch einen Prozess nicht als belastend empfinden«224
»Die wollten ihn gar nicht« – Hans-Joachim Klein227
4.3 Die Attentate in den 1980er Jahren230
4.3.1 Mord an Stadtrat Heinz Nittel230
4.3.2 Das Synagogenattentat242
4.3.3 Der »dritte Mann«: Bahij Younis250
4.3.4 Die Prozesse gegen Rajih, Hasan und Younis263
5. Hinter den Kulissen – der Konflikt um die Inhaftierten279
5.1 »Meinungsaustausch« mit der Abu-Nidal-Gruppe279
5.2 Das Attentat am Flughafen Schwechat293
5.3 »Waffenstillstand« mit der Abu-Nidal-Gruppe?307
5.3.1 Die Wiener »Botschafter« der Abu-Nidal-Gruppe318
5.3.2 Die vorzeitige Entlassung von Bahij Younis331
5.4 Die Auslieferung von Rajih an Belgien338
6. Die »Waffenaffäre«343
7. Die Sponsoren des Terrors365
7.1 Syrien365
7.2 Irak372
7.3 Libyen380
8. Der Mord an Issam Sartawi389
9. Kreiskys Antiterrorpolitik im Kontext403
9.1 »Harte« oder »weiche« Linie – Antiterrorpolitik auf dem Prüfstand403
9.2 Reaktionen im Inland434
10. Zusammenfassung und Ausblick451
Die Kurdenmorde459
Der Fall Feisal Samma