Bakterien in Krieg und Frieden Eine Geschichte der medizinischen Bakteriologie in Deutschland, 1890 - 1933
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Silvia Berger
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Bakterien in Krieg und Frieden Eine Geschichte der medizinischen Bakteriologie in Deutschland, 1890 - 1933
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Wallstein Verlag
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9783835320895
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1
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CHF 34.60
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Allgemeines, Lexika
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German
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476
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kein Kopierschutz/DRM
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PDF
Die 'Ausrottung' aller 'unsichtbaren Feinde' des Menschen durch die medizinische Bakteriologie: Aufstieg und Fall einer Leitwissenschaft der Moderne. Als die WHO 1980 den 'Tod der Pocken' verkündete, rückte die Vision einer Welt ohne Infektionskrankheiten in greifbare Nähe. Das Auftauchen neuer und die Rückkehr überwunden geglaubter Erreger machten jedoch wenig später klar, dass dies eine Illusion war. Silvia Berger beschäftigt sich mit der Geschichte jener Wissenschaft, durch deren Leistungen - allen voran der Entdeckung der pathogenen Bakterien - die 'Ausrottung' der Seuchen erstmals möglich schien: die medizinische Bakteriologie. Die Autorin zeigt mit Blick auf Deutschland zwischen 1890 und 1933, dass der Glaube an die Beherrschbarkeit von Infektionskrankheiten nicht erst in neuester Zeit erschüttert wurde. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg erfuhr die Bakteriologie eine tiefgreifende Krise. Der von Militärbakteriologen zwischen 1914 und 1918 rigoros verfolgte Traum von der Vernichtung aller 'unsichtbaren Feinde' und der Herstellung 'reiner' Körper und Territorien rückte in weite Ferne. Die einstige Renommierwissenschaft musste in den 1920er Jahren eingestehen, dass sie mit ihren Denkfiguren das komplexe Zusammenspiel von Mikro- und Makroorganismen nicht mehr erklären konnte. Statt als 'Krieg' konzipierte man nun das Verhältnis zwischen Bakterien und Menschen mit Begriffen wie 'Gleichgewicht' oder 'Symbiose', einer Art friedlichen Koexistenz. Die Studie wurde 2008 mit dem Henry-E.-Sigerist-Preis für Nachwuchsförderung in der Geschichte der Medizin und Naturwissenschaften ausgezeichnet.
Silvia Berger, geb. 1973, studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Völkerrecht in Zürich und Berlin. Postdoktorandin im Graduiertenkolleg 'Geschichte des Wissens' am interfakultären Kompetenzzentrum von ETH und Universität Zürich. Veröffentlichung u.a.: Bakteriologie und Moderne. Studien zur Biopolitik des Unsichtbaren, 1870-1920 (2007, hg. zus. mit Philipp Sarasin, Myriam Spörri und Marianne Hänseler).
IV. FRIEDEN?
(S. 291-292)
Destabilisierung und Wandel der Bakteriologie in der Weimarer Republik
Die letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts markierten den Beginn des Zeitalters der Bakteriologie. In der aufregenden Phase neuer Erkenntnisse und neuen Erkennens blickten medizinische Fachwelt undÖffentlichkeit gebannt auf die Welt des Kleinsten. Die Lehre von den pathogenen Mikroorganismen versprach nicht nur praktische Hilfe für die leidende Menschheit, sie schürte zugleich die Hoffnung, die Infektionskrankheiten in Zukunft vollständig auszurotten.
Obwohl das bakteriologische›Gold‹ um die Jahrhundertwende an Glanz verlor, gelang es Koch und seinen Schülern, die Bakteriologie als potente epidemiologische Feldwissenschaft zu etablieren. Im Weltkrieg erlebte die Disziplin, inthronisiert als wissenschaftlicher Schutzgeist Deutschlands, nach dem›Sturm und Drang‹ der 1880er Jahre einen zweiten Höhepunkt an Einfluss und Ansehen. Es sollte, wie ich im Folgenden zeigen werde, der letzte sein.
Der militärische Zusammenbruch, die Revolution, das»Schanddiktat von Versailles« und die wirtschaftlich-soziale Notlage führten nicht nur in Bezug auf die politischen,ökonomischen und mentalen Ordnungsstrukturen zu einschneidenden Transformationsprozessen.? Auch für die Formation des bakteriologischen Denkstils und das Prestige der Bakteriologen bedeutete die Weimarer Zeit eine Zäsur. Im Zuge der paradoxen Realitätseinbrüche am Kriegsende und in den Folgejahren erfuhren die bewährten Wahrheiten und Denkkategorien eine zunehmende Destabilisierung.
Die Influenza, ihre irritierenden Nachfolgekrankheiten und insbesondere das Ausbleiben der von allen erwarteten, im Zentrum der Aufmerksamkeit stehenden Kriegsseuchen offenbarten eindrücklich, dass die traditionellen bakteriologischen Modelle und Denkfiguren nicht mehr imstande waren, die offensichtlich doch um einiges komplexeren Beziehungen von Makro- und Mikroorganismen zu erklären.
Der Zusammenbruch der bakteriologischen Harmonie der Täuschungen (Fleck) frieden? mündete Mitte der 1920er Jahre in einen grundlegenden Wandel des Denkstils. Anstelle der martialischen Bilderwelten verwendete man jetzt Denkfiguren, die Infektionskrankheiten als Störungen diffiziler»Gleichgewichte« oder»Symbiosen« (eine Art friedliche Koexistenz) von Menschen und Bakterien entwarfen und den»unreinen« Körper als Normalfall installierten– vollkommen neue Koordinaten begannen sich in der bakteriologischen Ordnung des Wissens zu etablieren.
Inhalt
6
Einleitung
10
I. Formation. Genese einer Leitwissenschaft, 1840–ca. 1890
28
1. Konstruktion ›pathogener Bakterien‹
29
2. Das bakteriologische Denkkollektiv
45
3. Konfiguration des bakteriologischen Denkstils
55
4. Öffentliche Resonanzen
78
II. Dissonanz. Bakteriologie zwischen Beharrung und Reform, 1890-1914
92
5. Exoterische und esoterische Dissonanzen
93
6. Bakteriologische Offensive: Stabilisierungen am Vorabend des Ersten Weltkriegs
144
III. Krieg! Das pathogene Bakterium im Ersten Weltkrieg
172
7. Auftakt
173
8. Bakteriologische ›Kriegsführung‹: Metaphern – Praktiken – Orte
187
9. Sieg über die Bazillen? Bilanzen und Ausblicke nach zwei Kriegsjahren
253
10. »Eine reine Seite gibt es nicht mehr« – Das Kriegsende und seine Folgen
268
IV. Frieden? Destabilisierung und Wandel der Bakteriologie in der Weimarer Republik
292
11. Der sinkende Stern der Bakteriologie
293
12. Transformierte Bakteriologie, 1924/25-1933
332
Ausblick
392
13. Bakteriologie nach der Machtergreifung
392
Anhang
414
Abbildungsnachweis
414
Abkürzungen
415
Bibliographie
416
Dank
472
Register
474