In der vorindustriellen Zeit wie auch heute noch in Japan und vereinzelt bei Naturvölkern waren bzw. sind ältere Menschen aufgrund ihrer Erfahrungen hoch angesehen; nur ihnen wurden besondere Kompetenzen zugesprochen wie richter- liche, heilende und lehrende Fähigkeiten, was sich z.B. in Funktionen wie demÄltestenrat zeigte[29].
Mit der Industrialisierung setzte dann um 1900 das Leistungsprinzip ein, was zu tief greifenden Veränderungen führte: Das Erbe verlor an Bedeutung, Erfahrungen wurden als‚veraltet’ abgetan. Jetzt werden alte Menschen als diejenigen angesehen, die zu beraten und zu betreuen sind[30]. Leistung ist nun der bestimmende Faktor für den Status innerhalb unserer industriellen, hierarchisch gegliederten Gesellschaft und legitimiert Ungleichheiten. Daälteren Menschen eine gleich bleibende Leistungsfähigkeit abgesprochen wird können sie damit in soziale Randgruppen abrutschen[31].
Das Absprechen von altersbedingten positiven Entwicklungen, ausgebauten Fähigkeiten und erweitertem Wissen ist jedoch kein typisches Zeichen unserer Zeit[32]; nicht immer und in allen Kulturen wurde alten Menschen gesellschaftliche Hochachtung entgegengebracht[33].
Sozialhistorische Studien belegen, dass auch vor der Verehrung und Hochschätzung des Alters im 18. Jahrhundert– wozu es kam, als alte Menschen als Autoritäten in der Malerei und Dichtung hervortraten und sich zudem in den Handwerksberufen durch ihr Können profilieren konnten - alte Menschen oft als inkompetent undüberflüssig angesehen wurden und keine vollwertigen Mitglieder der Gesellschaft waren[34]; insbesondere die negativen körperlichen Begleit- erscheinungen des hohen Alters wurden in der Vergangenheit deutlich themati- siert[35]. Diese negative Betrachtungsweise wurde bereits von Aristoteles und Seneca ausgelebt[36].
Die vorindustrielle Familienform war die Großfamilie, in ihr wurden dieälteren Angehörigen mitbeschäftigt, versorgt und gepflegt. Mit der Industrialisierung wurde der Arbeitsbereich zunehmend von dem der Familie getrennt, die erwachsenen Kinder zogen in eigene Wohnungen in die Städte. Die Familie verlor an Bedeutung, dieältere Generation blieb zurück und trat in den Hintergrund[37].
Auch heute verzeichnet sich noch immer ein spürbarer Rückgang von Mehrpersonen- und Intergenerativ– Haushalten[38].
In der Agrargesellschaft waren dieÜbergänge zwischen Jugend-, Erwachsenen- und Altersleben nicht immer so abrupt wie in der heutigen Zeit; ein Ruhestand im Sinne von Nichtstun bzw. der völligen außerfamiliären staatlichen oder betrieb- lichen Altersversorgung, wie wir ihn heute kennen, existierte nicht. Arbeit war nicht die zentrale, sondern eine unter vielen Lebenspflichten mit dem Ziel der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung. Die Lebenseinteilung folgte einem natürlichen Rhythmus, die Lebensarbeitszeit war bedeutend länger. Die Menschen wurden nicht plötzlich aus dem Arbeitsleben ausgegliedert, sondern zogen sich allmählich zurück; es fand ein gleitenderÜbergang aus dem Erwerbsleben statt, in welchem dieÄlteren durchaus noch einfachere Arbeiten verrichteten - solange die Familie eine Produktionsgemeinschaft darstellte, hatte derältere Mensch noch bestimmte Funktionen zuübernehmen. Im Gegenzug kam die Familie für die Fürsorge und Pflege auf.
Mit der Durchsetzung industrieller Produktionsformen und der Trennung von Arbeits- und Familienbereich löste sich auch die familiäre Produktions- gemeinschaft auf, die alten Menschen wurden nicht mehr gebraucht und konnten nicht mehr versorgt werden; eine familienunabhängige Alterssicherung wurde notwendig[39].
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden Altersrenten und Altersversorgungen bei Erwerbsunfähigkeit eingeführt und wurden in Form von Beihilfen, Invaliden- renten, Witwen- und Waisenunterstützung von betrieblicher Seite geleistet. Diese Vorstufe unserer heutigen Altersvers