: Gernot Gricksch
: Das Leben ist nichts für Feiglinge Roman
: Verlagsgruppe Droemer Knaur
: 9783426403969
: 1
: CHF 7.00
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: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Markus liebt seine Tochter Kim aufrichtig, aber trotzdem hat er in den letzten Jahren den Draht zu ihr verloren. Die kluge, aber störrische Fünfzehnjährige vertraute sich nur noch ihrer Mutter an. Doch nun ist Babette tot, Vater und Tochter sind auf sich allein gestellt. Kim reagiert auf den Verlust wütend und aggressiv, Markus hilflos. Er möchte seine Tochter festhalten, ihr Mut machen und sie beschützen - aber das ist nicht leicht, wenn man sich am liebsten nur die Decke über den Kopf ziehen will, um unbemerkt weinen zu dürfen. Als Kim eines Tages spurlos verschwindet, muss Markus sich auf die Suche nach ihr machen. Und am Ende dieser unerwarteten Reise wird er sie nicht nur finden - sie werden sich gegenseitig retten ... Ein Roman wie das Leben: mit vielen kleinen und großen Niederlagen, aber auch voller unerwarteter Glücksmomente und der Erkenntnis, dass wir alles schaffen können, wenn wir die richtigen Menschen an unserer Seite haben. Das Leben ist nichts für Feiglinge von Gernot Gricksch: auch im eBook erhältlich!

Gernot Gricksch, geboren 1964, ist Kolumnist, Kinokritiker und Autor von Romanen, Sachbüchern und Drehbüchern. Er ist einer der meistverfilmten deutschen Autoren und lebt mit seiner Familie in Hamburg. Gernot Gricksch versteht es wie kaum ein anderer deutscher Unterhaltungsautor, sein Publikum zum Lachen zu bringen, zu Tränen zu rühren und dabei so einiges über das Innenleben von Männern zu verraten, was »echte Kerle« nur zu gerne für sich behalten und viele Frauen gerade deswegen hochspannend finden. Zu Gernot Grickschs größten Erfolgen gehören »Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande« und »Freilaufende Männer«. Sein Roman »Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe« wurde 2006 mit dem Literaturpreis DeLiA als bester Liebesroman des Jahres ausgezeichnet, die eigene Drehbuchadaption mit dem Norddeutschen Filmpreis und dem Bayerischen Filmpreis. Nach »Freilaufende Männer« wurde 2012 der Roman »Das Leben ist nichts für Feiglinge« mit Wotan Wilke Möhring verfilmt.

Kapitel1


Die dritthäufigste Ursache für Verspätungen der New Yorker U-Bahn –«, begann Kim.

»Jetzt nicht«, unterbrach Markus sie und nestelte an seiner Krawatte herum. Er stand in seinem neuen schwarzen Anzug in der Küche. Den fast leeren Kaffeebecher hatte er auf der Spüle abgestellt. Er betrachtete den Schlips. Der war weinrot. Noch nie hatte Weinrot für Markus so bunt ausgesehen. Er überlegte, die Krawatte noch zu wechseln. Ein schwarzer Schlips vielleicht? Aber würde er damit nicht aussehen wie einer von denBlues Brothers?

»Die häufigste Ursache sind Gleisarbeiten«, hob Kim erneut an. Seine Tochter saß am Küchentisch, neben sich eine Tasse Zimt-Lakritz-Tee, die noch fast voll war. Der Tee roch, als sei irgendwo im Orient ein Chemiewerk explodiert. Kim blickte ihrem Vater direkt ins Gesicht, die Augen angriffslustig zusammengekniffen. »Die zweithäufigste Ursache sind Signalfehler. Aber die dritthäufigste …«

Kim machte eine Kunstpause. Markus seufzte.

»Die dritthäufigste sind Frauen auf Diät! Weibliche Passagiere, die wegen Schwäche oder Unterzuckerung in U-Bahnen und auf Bahnsteigen in Ohnmacht fallen.«

»Woher weißt du nur all diesen Kram?«, murmelte er.

»Das muss man sich mal vorstellen!«, ereiferte sich Kim. »Nur weil diese blöden Ami-Weiber unbedingt sehen wollen, dass ihre Hüftknochen durch ihre Haut piksen wie bei einem Kind aus der Sahelzone, kommen tagtäglich Tausende von New Yorkern zu spät zur Arbeit. Oder zu spät zu ihremWeight-Watcher-Treffen.«

»Ziehst du dich bitte um, Kim?«, bat Markus in so ruhigem Tonfall wie möglich. »Ausnahmsweise?«

»Nein«, sagte Kim. »Ich bin fertig angezogen.«

»Kim …«, begann Markus.

Seine Tochter erhob sich. Fünfzehn Jahre alt und ebenso schwarz wie stolz. Nicht völlig schwarz natürlich – ihre Haut war bleich, fast wie Kalk oder, wenn man’s diplomatisch formulieren wollte, wie Porzellan. Das passierte, wenn man sich in seinem Zimmer vergrub. Doch ihr hochtoupiertes Haar hatte sie glänzend schwarz gefärbt, zwei pechschwarze Kajal-Ringe umrahmten ihre Augen, die Fingernägel waren schwarz lackiert, und auch ihre Kleidung war komplett in derselben Nicht-Farbe gehalten. Von einigen kleinen Einsprengseln abgesehen:Sepulcrum Mentis stand blutrot auf ihrem T-Shirt. Der Name einer Gothic-Band. Kim hatte ihn Markus auf Wunsch einmal knurrend übersetzt. Er bedeutete »Grab des Geistes«.

»Bitte«, sagte Markus. »Mama zuliebe.«

»Mama ist tot«, antwortete Kim, und in ihrer Stimme lag eine Härte, die Markus schmerzte. »Sie hat mich immer so akzeptiert, wie ich bin. Mama hätte nie verlangt, dass ich mich verkleide!«

Jetzt brach ihre Stimme doch, Trauer durchstieß ihre trotzige, abgebrühte Attitüde. Kim erhob sich, die Augen feucht. Sie stürmte aus dem Zimmer, so würdevoll und cool, wie man eben stürmen kann.

Markus hätte fast aufgelacht, so absurd fand er den Satz seiner Tochter. Wenn sie jetzt nicht verkleidet war, wann dann? Er rief ihr nach: »Es ist ihre Beerdigung, verdammt noch mal! Mach das nicht kaputt!«

»Mama ist weg!«, kam Kims Stimme aus dem Flur zurück. »Sie ist tot. Heute wird sie nur verbuddelt. Was könnte man daran schon kaputt machen?«

Markus musterte erneut seine Krawatte. Sein Hals brannte. Er zitterte ein wenig. Kims obskurer Tee dampfte immer noch in der Tasse. Er roch jetzt wie Schwefel.

 

Kurz darauf schloss Markus die Haustür hinter sich zu. Kim saß bereits im Auto. Sie war hinten eingestiegen. Ganz so, als sei der Beifahrersitz auf ewig für Babette reserviert. Kim hatte ihreMP3-Stöpsel in den Ohren. Ein stupider, böser Bass dröhnte heraus. Das Mädchen hatte die Augen geschlossen. Markus fragte sich, ob sie womöglich ihre Mutter vor sich sah. Klammerte sich seine Tochter an die Erinnerungen an Babette, oder versuchte sie, sie loszuwerden, abzulösen, hinter sich zu lassen?

Wie trauerte Kim? Markus hatte keine Ahnung. Seine Tochter sprach nicht mit ihm. Nicht über Babette jedenfalls. Sie repetierte neuerdings nur ständig groteske Statistiken, erzählte von bizarren Todesfällen und kolportierte absurde Zufälle. Sie suchte Asyl in Absurdistan.

Markus lenkte den Wagen die Hauptstraße entlang. Der Ford Combi trug die Aufschrift »Party